Schlagwort-Archive: PISA

Warum werden die Bildungsdaten der Bundesländer verheimlicht?

Die FAZ vom Tage (S. 20) zitiert aus einem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats des Wirtschaftsministeriums. Die Gutachter kritisieren, dass die Bildungsdaten der Länder zurückgehalten würden.

In den PISA-Erhebungen würden deutsche Schüler mit ausländischen Schülern verglichen, obwohl der Vergleich oftmals schwierig sei (z. B. unterschiedliche Einschulungsalter; GS). Innerhalb Deutschlands aber solle nicht verglichen werden. Dabei probierten die Kultusminister der Länder Schule seit 15 Jahren Veränderungen aus, aber über Erfolg oder Misserfolg gäbe es keine (öffentlichen; GS) Daten.

 

OECD und Computer in der Schule: nichts Neues

Die OECD-Bildungsforscher haben ihre Daten von 2012 noch einmal durch die Rechner laufen lassen und die Ergebnisse zum Thema Schule und Computer veröffentlicht. Im Grunde kommt nichts Neues heraus:

Was die Digitalisierung für die Bildung bringt, ist auch durch Pisa 2012 nicht deutlicher geworden. Natürlich hinkt Deutschland bei der Computerausstattung immer noch hinterher, aber diesmal muss der OECD-Bildungsforscher Prof. Andreas Schleicher darauf verzichten, allein das deutsche Bildungssystem an den Pranger zu stellen.

Denn auch in Ländern, wo sich weniger Schüler als in Deutschland einen Schulcomputer teilen müssen und die am Bildschirm verbrachte Unterrichtszeit drei- bis viermal so lang ist, lässt sich eine Leistungsverbesserung durch digitale Medien nicht eindeutig nachweisen.

Gut surfen konnten im PISA-Test vor allem Schüler aus Singapur, Hongkong, Korea oder Kanada. Sie sind auch bei den PISA-Messungen nichtdigitaler Lese- und Rechenkompetenz führend. Da stellt sich die Frage, ob gute Schüler auch in der Computernutzung besser sind oder ob die Computernutzung durch Schüler bessere Messwerte in Lesen und Rechnen bewirkt. (Eine Frage, die auch in der Schulbibliotheksforschung beantwortet werden muss: Machen Schulbibliotheken lesekompetentere Schüler oder sind es die lesekompetenten Schüler, die von der Schulbibliothek profitieren?)

Eindeutig ist „Computer-PISA“ jedenfalls nicht: Zu wenig und viel Computereinsatz in der Schule bringt nichts. moderater Einsatz scheint am ehesten zur Verbesserung von Schülerleistung beizutragen. Insgesamt aber wird nicht ersichtlich, dass die Milliardeninvestitionen in Unterrichtstechnologie überzeugende Ergebnisse zeitigen.

Der umstrittene Bildungsexperte Schleicher empfiehlt daher, den Lehrern mehr digitale Komptenzen beizubringen und die Effizienz der Computernutzung im Unterricht zu verbessern.

Natürlich sind es familiäre Unterschiede, die deutlich hervortreten: Schüler aus ärmeren Familien spielen mehr mit dem Computer und verbringen mehr häusliche Zeit mit digitalen Geräten als Schüler aus höheren Sozialschichten (Täglich 144 Minuten statt 127). Wohlhabendere Familien würden die Surfzeit begrenzen, das Medium würde eher als Informations- denn als Unterhaltungsmedium genutzt.

Siehe auch hier!

Protest gegen PISA

Der in New York lehrende Bildungsforscher Heinz-Dieter Meyer hat einen Offenen Brief  gegen die PISA-Tests geschrieben, der inzwischen von einigen hundert Kolleg/-innen unterschrieben wurde.

Er kritisiert die kurzfristige Schulpolitik, die auf das Aufsteigen im Ranking orientiert sei. Die Tests wären das neue Curriculum der Schulen, sie würden das Lernen normieren.  Jetzt seien auch die Schulen Afrikas und Lateinamerikas an der Reihe, auf die OECD-Normen getestet zu werden.

Meyer zweifelt die Shanghai-Resultate an, weil sie – wie nachgewiesen wurde – auf einer selektiven Beteiligung von Schülern beruhen würden. Große Teile der vom Land stammenden Schüler seien von den Tests ausgeschlossen worden. Die Schulleiter der ausgewählten Schulen hätten ihre Schüler monatelang intensiv auf die Tests vorbereiten können.

  • Das Interview auf Spiegel Online, geführt von Christian Füller

Und dann war da noch PISA

Vermutlich wird herauskommen, dass deutsche Fünfzehnjährige irgendwo leicht über oder unter dem OECD-Durchschnitt liegen, dass der familiäre Einfluss auf die gemessenen Kompetenzen immer noch nicht abgebaut werden konnte, dass der Anteil der schwach Abschneidenden immer noch zu groß und der der gut Abschneidenden immer noch zu klein ist.

Die PISA-Industrie weiß, dass ihre Rankings auf Dauer ermüden, daher präsentiert sie aus ihrem Datenfundus über Monate hinweg jeweils neue Schwerpunkte. Jetzt: weltweit schneiden Mädchen ein bisschen weniger gut als Jungen ab. Das gibt Arbeit für die Gender-Mainstreaming-Community: neue Mädchenförderprogramme, neue Stellen für Mädchenförderbeauftragte in den Schulämtern und Ministerien.

Auch in der Bedienung von Computern und Fahrkartenautomaten sind die Deutschen nicht besonders stark. Weniger Latein, Chemie, Deutsch, mehr Kompetenztraining in Fahrkartenautomatenbedienung?

Dem Hauptautor der Studie von 2013, Francesco Avvisati, werden in Spiegel Online(1) und (2) mehrere Fragen zu Unterschieden gestellt. Er mutmaßt, er vermutet, heißt es im Artikel (1). Wie immer bei PISA könnte er auch sagen: „Wir messen nur Zustände, wir erklären nicht.“

Ich finde Städte-Rankings viel spannender: Mal ist Potsdam ganz weit oben, manchmal nur im Mittelfeld, mal überrundet Berlin New York, manchmal wird es von Stuttgart abgehängt. Immerhin, auch im PISA-Ranking gibt es Bewegung: Polen steigt auf, Schweden und Finnland steigen ab. Ostasiatische Städte bauen – wie Bayern München – ihren Vorsprung aus.

Vielleicht sollten deutsche Kultusminister/-innen nicht mehr nach Finnland, sondern nach Singapur fahren. Die Reisekosten könnte man aus dem deutschen PISA-Haushalt nehmen.

Die komplette Studie von 2013

unstatistik.de zu Messfehlern

Der Osten überholt den Westen

Wenn Erich Honecker das noch erlebt hätte! (Wenigstens seiner Frau, der Volksbildungsministerin, ist es vergönnt.)

Der Ländervergleichstest 2012 in Mathematik und Naturwissenschaften besagt, dass alle ostdeutschen Bundesländer zur Spitzengruppe gehören. Nur Bayern könne noch mithalten.

Wie kommt´s? Weiterlesen

Erwachsenen-PISA: Die Hälfte weiß, wie man E-Mails sendet

Da die PISA-Industrie nun einmal da ist, sucht sie sich neue Betätigungsfelder: PIAAC 2013 – Pisa für Erwachsene.

Ergebnisse der heute veröffentlichten Studie: Deutsche Erwachsene lesen statistisch signifikant schlechter als der OECD-Durchschnitt: Mittelwert 270, OECD-Durchschnitt 273, Japan 296. Welche Kompetenzunterschiede zwischen den Mittelwerten 270 und 273 liegen, konnte ich nicht herausfinden.

„Unter Lesekompetenz wird das Verstehen, Nutzen und Interpretieren von geschriebenen Texten verstanden. Die Lesekompetenz ist Voraussetzung, um das eigene Wissen und Potenzial weiterzuentwickeln und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. In diesem Bereich sind in PIAAC Aufgaben wie das Lesen und Verstehen eines Medikamentenbeipackzettels oder eines kurzen Zeitungsartikels enthalten. Ferner gibt es Aufgaben, die sich auf elektronische Medien beziehen, wie zum Beispiel das Lesen einer Stellenanzeige in einem Onlineportal.“ Weiterlesen

Die Vermessung der Schulleistung

schreitet voran. Wird es demnächst statt „Deutsch: Vier“ heißen „Deutsch 53,86 %“?

Erstmals lädt das DIPF zu einer Tagung „Vermessung von Kompetenzen“ ein, die nun regelmäßig stattfinden soll. Aus dem Programm:

  • Kompetenzveränderung im Längsschnitt Prof. Dr. Knut Neumann, Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) und Norbert Maritzen, Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung (IfBQ), Hamburg
  • Rückmeldungen von ErgebnissenProf. Dr. Johannes Hartig, Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) und Ulrich Steffens, Landesschulamt und Lehrkräfteakademie Hessen
  • Technologiebasierte KompetenzerfassungProf. Dr. Frank Goldhammer, DIPF und Dr. Isabella Benischek, Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation & Entwicklung des österreichischen Schulwesens (BIFIE)
  • Messung von LehrerkompetenzenProf. Dr. Tina Seidel, TUM School of Education und Werner Klein, Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (KMK)

Man beachte Punkt 4!

Nachtrag:

Der Paderborner Mathematikdidaktiker Wolfram Meyerhöfer bedauert, dass so viele Millionen € in eine unergiebige empirische Bildungsforschung gesteckt werden statt in Lehr- und Lernforschung. Lernprozesse zu vermessen sei völlig aussichtslos, sagt er. Weiterlesen

Wie man Schülerleistungen auch steigern könnte

Wenn Schule 30 Minuten später anfinge als in aller Herrgottsfrühe, würde das schon die Schulleistungen merklich steigern können, sagen Arbeitsmediziner. Auch Verkehrsplaner empfehlen, den morgendlichen Berufsverkehr vom Schülerverkehr zu entlasten, in dem der später stattfinden soll. Die Überlegungen sind nicht neu. Die Aussage begegnet mir nur gerade wieder einmal. Das Gegenargument war früher, dass die berufstätigen Eltern aus dem Haus seien und die Kinder dann noch eine Stunde alleine und unbeaufsichtigt herumtrödeln würden.

Weiterlesen

PISA: Warum Politiker zu blindem Aktionismus neigen

Aus: PISA: Die Ursachen. Und andere Geschichten, von Martin Fromm (2002?):

Ziemlich einleuchtend beschreibt Martin Fromm den verfehlten Umgang mit PISA-Ergebnissen:

„Sie (i. e. Politiker und wissenschaftliche Gutachter; GS)  stellen  die  falschen  Fragen,  weil  die  Fragen,  die  dann  in  Form  von Forschungsprogrammen  vorgegeben  werden,  sich  an  dem  orientieren,  was alltagstheoretisch das Problem zu sein scheint und sich nach außen plausibel darstellen lässt. Entsprechend fallen den an der bildungspolitischen Diskussion Beteiligten vorzugsweise solche Ursachen für die PISA-Misere ein, die
zum eigenen Programm passen – und für die es handliche Maßnahmen gibt: Medien-Schelte,  Appelle  an  die  Eltern,  Einrichtung  von  Ganztagsschulen usw.

Sie denken in den falschen Zeiträumen, weil Maßnahmen schon vor der Klärung  des  Problems  verkündet  und  vorbereitet  werden.  Sie  erwarten die falschen Antworten, wenn sie Bestätigungen für ihre alltagstheoretisch vorgefassten  Einschätzungen  erwarten,  der  Brauchbarkeit im aktuellen politischen  Verwertungskontext und der  Akzeptanz in der Bevölkerung oberste Priorität einräumen.“

Besonders lesenswert: S. 8 unten bis S. 15 (Seitenzählung im pdf): Fromm, PISA: Die Ursachen und andere Geschichten

 

Staatsschule oder Schulkonzern? Eine schleichende Revolution

Das digitale Geschnatter von pädagogischen Revolutionen, die mit jeder neuen Software oder jedem neuen Gerät, sei es Twitter, Pinterest, iPhone oder Tablet, fällig wären, ist wenig mehr als ein Wetterleuchten am Horizont. Die wirkliche Revolution findet anderswo statt.

Medienkonzerne und Unternehmensberatungen haben Größeres im Blick: den Bildungsmarkt. In USA ist das fast eine halbe Billion € im Jahr. Die weltweit verschuldeten Staaten und Gebietskörperschaften suchen nach Wegen, Ausgaben zu kürzen. Sie sind nicht abgeneigt, ihre Schulen zu privatisieren. Schon jetzt ist allein der durch PISA entstandene Bildungsmarkt beträchtlich. Mit der Diagnostik und den Übungsmaterialien, mit denen man sich auf die Tests vorbereitet, werden Milliarden umgesetzt. Mit kompetenzorientierten Curricula und Prüfungen, wie sie die OECD durchgesetzt hat, wird der schulische Content betriebswirtschaftlich erschlossen. Schulerfolg ist messbar, das Datenmaterial, das pro Schülerlaufbahn entsteht, kann für eine exakte Diagnose und Therapie (Förderplan) genutzt werden. In den Medienkonzernen entsteht die Software, mit der wie bei einem Navi präzise gesagt werden kann, in welcher Zeit welches Kompetenzniveau in, sagen wir, Chinesisch oder Chemie erreicht werden wird. Die Apps, die enhanced E-Books, die Blended-Learning-Programme sind da,  mindestens in der Beta-Version.

Nachtrag: Wireless Generation bietet Softwareprogramme und Diagnosetools für Schulen, Basisversionen kostenlos. Der Bundesstaat New York lässt die Firma die standardisierten Tests durchführen. Die Firma gehört Robert Murdoch. Ins Spiel gebracht wurde sie von der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung.

Schule wird so planbar wie eine Autoinspektion. Der Meister fährt es auf die Hebebühne, steigt in die Grube, tippt in den Rechner und druckt den Diagnosebogen aus. Da steht, was bis wann erledigt ist und was es kostet.

Anders als Schule. Da wird dauernd bei den Eltern Geld eingesammelt, da fallen Stunden aus, ein Elternabend muss besucht werden, die Schulbücher sind alt und unhygienisch. Die Werkstatt ruft an, ob ich zufrieden bin. Die Schule hat das bei meinen Kindern nie gemacht. Alles ist viel komplizierter als beim Auto.

Schule ist inzwischen betriebswirtschaftlich ziemlich gut kalkulierbar: Businessplan, Gewinn-Verlust-Rechnung, Break-Even-Point, Target-Costing, Controlling. Die amerikanischen Schulfirmen, die britischen Prüfungsfirmen zeigen es. Auch Teile ließen sich outsourcen: Mathematikunterricht, Sprachunterrricht, Förderung behinderter Kinder. Amerikanische Schulfirmen versuchen u. a. Lehrer einzusparen und durch Selbstlernprogramme zu ersetzen. Sie betonen, dass sie zwar weniger Lehrer beschäftigen, die aber dafür besser bezahlen als die Staatsschulen ihr Personal. Gegen Kritik sind sie gewappnet: Es gäbe einfachere Branchen, um Geld zu verdienen.

Vgl. Blog „Fluency 21“

PISA-Lesekompetenz und die Schulbibliotheken, noch einmal!

Der eingängige, aber fragwürdige Slogan, die niedrige Lesekompetenz deutscher 15jähriger erfordere mehr Schulbibliotheken, wurde im Basedow1764 mehrfach problematisiert.

Jetzt hat die Bundeszentrale für politische Bildung aktuelle Zahlen und Fakten zum Thema Bildung zusammengestellt, darunter auch Tabellen zur Lesekompetenz 2000 und 2009. Wieder lässt sich erkennen, dass der Slogan kontraproduktiv ist:

Einige Staaten, deren Messwerte schlechter als die deutschen sind, haben flächendeckend oder zumindest sehr viele Schulbibliotheken: Dänemark, Groß-Britannien, Portugal, Türkei.

Manche Staaten, deren Messwerte besser sind, haben kein nennenswertes Schulbibliothekswesen: Schweiz, Finnland (öffentliche Bibliotheken ja, Schulbibliotheken erst seit kurzem!)

Im Ranking verbessert haben sich Portugal (Schulbibliotheken!), Deutschland (kein nennenswertes Schulbibliothekssystem)

Im Ranking verschlechtert haben sich Finnland, Frankreich, Dänemark, allesamt „Schulbibliotheksländer“!

Nicht in der Tabelle ausgewiesen: Südtirol hat höchste Lesekompetenzwerte und ein höchst effektives Schulbibliothekswesen.

Not tut eine Wirkungsforschung, die den im Slogan unterstellten Zusammenhang zuverlässig nachzuweisen versucht. Möglich ist ja, dass das Schulbibliothekswesen in Frankreich und Groß-Britannien nichts zur Verbesserung der Lesefähigkeiten beiträgt. Das in Portugal und Südtirol aber vielleicht schon. Möglich ist auch, dass die empirische Bildungsforschung wie so oft im Nebel herumstochert und unpräziser als die Regenwahrscheinlichkeit in der Wettervorhersage ist. Wer Lesekompetenzen hat, was immer das auch im Einzelnen ist, benutzt (hoffentlich) die Schulbibliothek. Lesen hat er woanders gelernt.Angebracht wäre auch, den Nutzen der Schulbibliothek nicht unnötig auf PISA zu verengen.

Mir fällt bei Bildungsforschung immer eine australische Sekundäranalyse von annähernd tausend empirischen Studien über Ursachen von Schulerfolg ein. Im Ergebnis ließ sich keine schulische Maßnahme überzeugend isolieren. Einzig mit hoher Korrelation ließ sich der Einfluss des Elternhauses nachweisen. Deswegen kann man Eltern beruhigen: Wenn sie sich kümmern, überlebt ihr Kind jedes Schulsystem.

Trösten wir uns damit, dass die Lesekompetenz der Grundschüler/-innen weit besser ist (oberer OECD-Durchschnitt bei IGLU/PIRLS).

Ich hatte einmal angekündigt, nichts mehr dazu zu sagen. (In diesem Beitrag liegt der Schwerpunkt auf den Unterschieden zwischen den Bundesländern.)