Wenn ich davon höre, dass jemand Lehrervorträge gut findet, freue ich mich. Ich stehe also nicht allein mit der Ansicht, dass Lehrervortrag und Frontalunterricht keineswegs pädagogische Altlasten sind. Im Blog habe ich mehrfach darüber geschrieben, dass guter Frontalunterricht eine höchst effektive Lehrkunst ist, die leider immer weniger gelehrt, geschweige denn praktiziert wird.
Der Lehrer Arne Ulbricht lobt die Methode Lehrervortrag in seinem in diesen Tagen erscheinenden Buch „Schule ohne Lehrer. Zurück in die Zukunft“, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2015, 173 S., 14,99 €.
Er nennt es ein „fiktionales Sachbuch“. In höchst vergnüglich zu lesenden, aber keineswegs übertriebenen Szenarien schildert er den täglichen Wahnsinn einer Schule, in dem der Blick auf das Smartphone für die Schüler wichtiger geworden ist als der auf die Tafel oder zum Lehrer. Sogar in der Pause würde keiner mehr herumlaufen oder mit jemandem reden, jeder würde auf sein Smartphone starren.
Nicht nur Schüler verlieren sich im Internet, die ganze Schule werde „durchdigitalisiert“: Tägliche Rundmails der Schulleitung im elektronischen Postfach, das notwendige Kalibrieren des Whiteboardstifts, weil die Schrift ansonsten nicht dort steht, wohin man sie haben will. (Sofern nicht jemand den Stift versehentlich eingesteckt hat.)
Noch schlimmer als die Widrigkeiten der Technik ist die mit der Digitalisierung der Schule einhergehende Veränderung schulischen Lernens: Unübersehbare Methodenvielfalt und selbst organisiertes Lernen seien die Fetische. Der Lehrer verschwindet, er wird zum Lernbegleiter. Salman Khans Lehrvideos suggerierten, dass jeder sich überall und jederzeit alles selbst beibringen könne. Ulbricht widerlegt nebenbei die gern angeführte Begründung, man müsse Schülern die Computerpraxis beibringen, die Erwachsene am Arbeitsplatz oder in ihren Seminaren brauchten. Das gehe am Arbeitsplatz meist ganz schnell vonstatten. (Erinnert sei an den Tweet der Abiturientin Naina über das, was Schule alles beibringen solle.) Vor allem aber gäbe es den Unterschied zwischen dem, was zur Bildung Heranwachsender nötig sei und was ein Erwachsener am Arbeitsplatz benötige oder warum er eine Präsentation erstelle.
Die Pointe des digitalen „Irrgartens“, in dem sich Lehrer und Schüler befänden, sei aber, dass der öde, wenig kunstfertige Frontalunterricht des vorgestrigen Lehrers ersetzt worden sei durch Serien von Powerpoint-Referaten, die man sich im Internet zusammengeklickt oder beim Klassenkameraden auf einen Stick gezogen hätte. Sie hinterlassen weder beim Vortragenden noch bei den Zuhörern, wenn die das überhaupt tun, Spuren im Gehirn.
Nicht entgehen lassen sollte man sich die Zukunftsvision des durchdigitalisierten Bildungssystems im Kapitel IV: „Katie, 15, selbstständige Lernerin“.
Es ist gut, dass ein Schulpraktiker warnende Worte ausspricht. Man ist es gewohnt, in den Medien von der digitalen Rückständigkeit der Lehrer und der Schule zu lesen. Computernerds behaupten bei jeder neuen App, diese revolutioniere den Unterricht. Erziehungs- und Medienwissenschaftler erforschen gerne die technologische und methodische Rückständigkeit des Lehrpersonals und der Curricula.
Ulbricht ist durchaus nicht gegen Computer und Internet. Er macht Vorschläge für einen sinnvollen Gebrauch in der Schule. Mir kommt dabei auch die Schulbibliothek in den Sinn: Als Ort des maßvollen, produktiven Mediengebrauchs, aber auch als handyfreies Lesezentrum.
Ich hätte mir etwas mehr Straffung gewünscht. Manches, auch das berechtigte Lob des Lehrervortrags, ist redundant. Die Botschaft aber ist klar. Zu wünschen wäre, dass möglichst viele Journalisten, Schulräte, Bildungspolitiker, Eltern, Bildungsforscher und Medienwissenschaftler das Buch lesen.