Schlagwort-Archive: Medienkompetenz

Shirley Turkle, Alone Together. Why We Expect More from Technology and Less from Each Other

Beim Blättern im Blog bleibe ich am Beitrag „Ist Medienkompetenz Blödsinn?“ hängen, geschrieben vor vier Jahren. Es ging um die Thesen von Prof. Dr. Manfred Spitzer und die Art des Umgangs mit ihm und seinem Buch in einer ZDF-Sendung. Ich hatte u. a. geschrieben:

„Das, was das ZDF für eine Diskussionssendung hält, müsste Gegenstand von Filmanalyse im Unterricht sein. Ich muss kein Neurowissenschaftler sein, um zu erkennen, dass die Zuschauer durch solche Sendungen verblöden.“

Mir fällt jetzt auf, dass ich damals Prof. Shirley Turkle genannt hatte, aber ihr 2011 erschienenes Buch im Blog nie erwähnt habe. Erwähnt wurde sie von mir nur in diesem Satz:

„Anstatt sich mit den Thesen von Spitzer, Turkle, Sturm, Wolf, Lanier, Carr u. a. sachlich auseinanderzusetzen, zelebrieren die „Netzaktivisten“ in den Kommentarspalten ihre Shitstorms („Bist wohl Spitzers Sohn“, „sarrazinös“). Spitzer muss sie arg getroffen haben.“

An anderer Stelle verlinkte ich aber zu einem Interview der Süddeutschen Zeitung mit ihr, in dem sie sehr verkürzt ihre Thesen darlegt.

Daher jetzt der Hinweis auf das Buch, das m. E. auch nach fünf Jahren nicht an Aktualität eingebüßt hat; eher im Gegenteil. (Auch wenn sie Second Life erwähnt, das heute völlig vergessen ist.)

Sie legt dar, dass die digitalen sozialen Medien eine Gemeinschaft suggerieren, aber keine wirkliche Freundschaft schaffen.

Leider ist es nicht ins Deutsche übersetzt worden.

 

 

Immer mehr Bildungsdefizite. Aber die Medienkompetenz steigt

Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat eine Studie zur „Studierfähigkeit und Ausbildungsfähigkeit“ veröffentlicht. Die kommt zu dem Fazit, dass die gestiegene Zahl hoher Bildungsabschlüsse mit einer dramatischen Absenkung der Anforderungen erkauft wurde.

Seit 2010 stieg die Zahl der Einser-Abiturienten um 40%. Die Studienabbruchquoten in den MINT-Fächern stiegen stark an.

Die Welt berichtet.

News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek kommt bei der Lektüre zu einem anderen Ergebnis. Als Belege für seinen Widerspruch führt er u. a. an: Die geringe Jugendarbeitslosigkeit und das immer bessere Abschneiden bei den PISA-Tests. Sein Hauptargument: Die Defizite seine nicht drastisch gestiegen, sondern würden schon länger bestehen und gerade nicht steigen.

Stehen die PISA-Tests nicht auch deswegen in der Kritik, weil sie Kompetenzen und nicht Wissen zu messen versuchen? Sie machen also genau das, was die Verfasser der Studie bekagen.

Ich kann es nicht mehr hören!

Ich gebe zu: Es fällt mir manchmal schwer, mich nicht aufzuregen.

Diesmal ist es eine neue Studie von Bitkom, dem Lobbyverband der IT-Industrie, zur Verbreitung und Nutzung von Smartphones bei Kindern und Jugendlichen. Nicht viel Neues: die Verbreitung nähert sich ab dem Alter 12 den 90%. Genutzt werden sie, auch im Unterricht, zum Chatten, Fotografieren, Musik hören. 75% haben angegeben, dass sie das Tafelbild fotografierten. (Entstehen wirklich außerhalbn von Prüfungsstunden noch Tafelbilder, die man aufbewahren sollte?) Eine Minderheit von 20% nutzt das Gerät auch zum Telefonieren. (Ob diese Zahl nur für die Zeit in der Schule gilt, müsste man nachsehen. Ich glaube, dass die Telefonfunktion der Geräte grundsätzlich eher zweitrangig geworden ist. Ich habe aber wenig Lust, die ganze Studie zu lesen.)

Am Schluss des Artikels, den ich gerade lese (FAZ 18.2.15, p 23) kommt die eigentliche Ursache meines Ärgers. Der letzte Absatz lautet nämlich:

„Smartphones gehören zum Alltag von Schülern und sind damit natürlich auch Teil der Schule“, kommentierte Bitkom-Vizepräsident Achim Berg die Ergebnisse. Umso wichtiger sei es, Schülern Medienkompetenz zu vermitteln, damit die Geräte auch im Unterricht sinnvoll genützt würden.

Ich zitiere vorsichtshalber nicht mehr, um nicht Ärger mit der FAZ wegen nicht-lizenzierter Verwendung ihres Textes zu bekommen. Was folgt, ist dann das übliche: Die Lehrer wären nicht geschult, sie könnten mit den neuen Technologien nicht umgehen, die Wirklichkeit in den Schulen sähe anders aus, die Lehrer würden bloß verbieten…

Textbausteine wie dieser dürfen in keinem einschlägigen Zeitungsbericht und in keiner neuen Studie fehlen.

Es ist das beliebte Spiel: Die IT-Industrie erfindet neue Gadgets. Den Pädagogen wird von empirischen Bildungsforscher/-innen nachgewiesen, dass sie keine Ahnung davon hätten. Medien- und Informationswissenschaftler/-innen entwerfen K-12-Curricula, in die sie prozessorientierte Kompetenzmatrizen für den Umgang mit IT-Geräten und -Software implementieren. Bildungspolitiker/-innen schreiben Google- und PowerPoint-Kompetenzen in die Abiturprüfung. Von den Leitartikler/-innen und den IT-CEOs wird den Lehrpersonen empfohlen, sich doch bitte pädagogisch mit den Smartphones und ihren Besitzer/-innen auseinanderzusetzen; sie seien ja nun schließlich Pädagogen. Und dann gibt es noch die Gurus unter den Kollegen oder Erziehungswissenschaftler/-innen oder IT-Programmierer/-innen, die behaupten, mit dieser oder jener App sei die alte Schule tot, jeder könne sich damit jederzeit und überall alles selbst beibringen.

Was ich ändern kann, ist meine Einstellung. Ich werde lernen, mich über dieses Gerede nicht mehr aufzuregen.

Die Kinder und Jugendlichen werden den Erwachsenen immer eine Nasenlänge voraus sein. Wenn die Lehrer Facebook in den Unterricht integriert haben, sind sie längst bei Instagram. Wenn sogar die Oma einen YouTube-Channel anlegt, wandern die Enkel zu YouNow ab. Die Wissenschaftler/-innen werden in ihren Studien feststellen, dass Lehrer und Schule wieder keine Ahnung haben. Inzwischen stehen aber in jedem Klassenraum zwei Whiteboards und eine Ladestation für 30 Tablets und die Gurus schwärmen von der pädagogischen Revolution, die GoogleGlass ermöglicht.

Leitfaden zum Umgang mit elektronischen Medien

Die Landesmedienanstalt NRW gibt zwei Broschüren/pdf-Dateien heraus, die als Ratgeber in Sachen Umgang mit elektronischen Medien gedacht sind. Einmal in Langform (136 Seiten), einmal kurz (8 Seiten). Im Untertitel der Kurzfassung heißt es „Informationen finden, bewerten, weitergeben“. Weiterlesen

Frühkindliche Medienkompetenz

Das könnte mithelfen, die Betreuungsquotienten in Kitas hoch und den Adrenalinspiegel der Betreuten niedrig zu halten: Gebt den Kleinen digitale Geräte und sie beschäftigen sich stundenlang damit. (Beobachtet beim Familientreffen im Wendland.)

Aber jedem seins!

Lanze2013 (4)

Das Netz in der Pädagogik: Antworten auf Fragen, die keiner gestellt hat.

Die kürzlich erwähnte Datenbank des Medien-Forschungsverbundes Südwest enthält einen Aufsatz des Medienwissenschaftlers Frank Haase. Leider bibliographiert der Forschungsverbund nicht und über Herrn Haase finde ich anderswo nur Hinweise auf Publikationen in den 90ern. Auch der hier zitierte Aufsatz stammt aus dieser Zeit.

Haase leitet aus der Analyse zweier pädagogischer Texte des frühen 20. Jahrhunderts (Kurd Laßwitz und Ellen Key) eine Kritik des Computereinsatzes und der Internetnutzung in der Schule ab: „Wir wollen unsere Kinder und unsere  Schulen  informationstechnologisch ausrüsten, wissen aber nicht warum  –  oder  anders  gesagt:  weil  die neuen Medien da sind.“

Es sei versäumt worden zu fragen, was die Ziele der Schule sein sollten. Wenn man jetzt die Schule neu denke, in dem man die Schüler mit Explorer, Mosaic, Navigator (Browser der 90er Jahre; GS) Informationen suchen und finden lasse, sei das eine Pervertierung von Wissen und Wahrheit. Das Suchen allein habe keine Bedeutung, wenn es nicht von einer Fragestellung bestimmt und gelenkt werde, wenn das Gefundene nicht ausgewählt und eingeordnet werde.

„So notwendig und wertvoll diese Hilfsmittel auch sind: Am Anfang ihrer Nutzung  steht  die  Frage. Aufgabe der Schule muss es deshalb  sein, eine Kultur des Fragens  zu  vermitteln. Wo  sind Probleme?  Wie  können wir sie beschreiben? Wie können wir Lösungsansätze finden? Welche Medien können uns  hierbei  behilflich  sein? Welche  Fragedimensionen werden von jeweiligen Medien eröffnet? Mit anderen Worten: Mit dem Einsatz von Computern im Unterricht muss zugleich an der Entzauberung des schönen Scheins von Computernutzeroberflächen gearbeitet werden, damit sich nicht die Illusion wiederholt, mit dem Finden des Unmittelbaren sei es getan.“

Der Medieneinsatz beanspruche, Schule neu zu denken. Es sollte aber nicht vergessen werden, die Medien neu zu denken.

Frank Haase: Netzgespinste
„Schule der Zukunft“
oder Zukunft der Schule

Ikeas Medienkompetenz

Man kennt es aus der Geschichtsschreibung kommunistischer Parteien: Auf dem Foto war ein in Ungnade gefallener Funktionär wegretuschiert worden. (Da die Fotobearbeitungstechnik noch vordigital war, kam es vor, dass auf dem Gruppenbild danach eine Hand oder ein Fuß zu viel zu entdecken waren.)

Jetzt sind schwedische Frauenrechtlerinnen empört, weil im normalen Katalog der Möbelkette eine Familie im Ikea-Badezimmer gezeigt wurde, in der saudi-arabischen Ausgabe die unverschleierte Frau im Schlafanzug aber wegretuschiert worden war. Ikea bedauert und gesteht einen Konflikt mit den Werten der Firma ein.

Ein Kommentar
Siehe auch: Blogger retuschieren eifrig weiter
 

In Talkshows treten Politiker als Markenartikel auf

Norbert Bolz ist Professor für Medienwissenschaft. Er schreibt einen kritischen Zwischenruf in „Das Parlament“, Nr. 35-37 – 2012: „Wie Politik immer mehr zur Unterhaltung wird“.

Die Veränderungen sind bekannt: Die Nachrichtensendungen werden zum Boulevard, die Talkshow wird wichtiger als das Parlament. Die Analyse von Prof. Bolz ist vernichtend. Hier einige Sätze daraus:

Die politische Tagesberichterstattung berichtet nicht mehr über eine von ihr unabhängige politsche Wirklichkeit, sondern konstruiert diese gemeinsam mit dem politischen System.

  • Nachrichten und Meinungen werden nicht mehr sauber getrennt.
  • Politik und Unterhaltung gehen ineinander über.
  • Die Grenze zwischen privat und öffentlich verschwimmt.
  • Moderne Politik stellt sich vor der Kamera dar, nicht im Parlament.
  • Das Urteil über Personen ersetzt das Urteil über Sachfragen.
  • Die Talkshow ersetzt nicht nur das Parlament, sondern auch das räsonierende Publikum. Man lässt diskutieren.
  • Wer in den Talkshows dominiert, erweckt den Eindruck, kraftvoll zu handeln.
  • Die Moralisierung eines politischen Problems ermöglicht es denen, die von der Sache nichts verstehen, an der Diskussion teilzunehmen.
  • In den Printmedien gibt es noch kritische Journalisten. Im Fernsehen haben sie längst kapituliert. (Dort gibt es) eine Form von Journalismus, die man Soft-Interview nennen könnte: Wer hat die Fragen zu meinen Antworten?

Das Fotos zum Artikel ersetzt tausend Worte. Die Blicke von fünf Gästen von Günther Jauch geben das ganze Elend einer Talkshow wieder. Jeder Gast hängt irgendwelchen Gedanken nach, einer schaut verstohlen auf die Uhr, alle warten auf ihren Einsatz, fixieren den Monitor, auf dem die Runde gezeigt wird. (Mag sein, dass das Foto drei Minuten vor Sendebeginn entstand, es ist aber so was von authentisch.)

Basedow1764´Beiträge zum Thema:

Literaturdatenbank des SWR

Meine Skepsis gegenüber den publizistischen und statistischen Fußtruppen des medienindustriellen Komplexes bleibt bestehen, aber ein Hinweis auf die Literaturdatenbank des Südwestrundfunks lohnt. Unter der im weitesten Sinne medienpädagogischen Literatur findet sich die eine oder andere Perle.

Wenn man liest, wer alles in dem Verbund im Dunstkreis des öffentlich-rechtlichen Senders zusammenarbeitet, Innovationsagentur, Landesmedienanstalt, Medienkompetenzstiftung, medienpäd. Forschungsverbund, dass es vor allem um Digital Lifestyle, Computerspiele, Kreativwirtschaft und Social Software geht, dass und wie die Kinder im „Kindermedienland“ Baden-Württemberg an all das herangeführt werden (Spitzer würde sagen: „angefixt“), staunt man, dass sich in der Literaturdatenbank auch Lesenswertes über Literatur, Lesen und Bildung finden lässt.

Zu Schulbibliotheken im „Kindermedienland“ Baden-Württemberg siehe hier!

Apple-Alphabet statt Gutenberg-Galaxis

Doug Johnson ist Medien- und Technologie-Dezernent in einem amerikanischen Schulbezirk. Seine Gedanken teilt er in einem viel gelesenen Blog mit.

Dieser Tage konstatiert er, dass sich die „Postliteracy“ beschleunigt. Also dass die Media Literacy zunimmt und die Literacy, die Lesen und Schreiben meint, an Bedeutung und Notwendigkeit verliert. Nicht ganz neu, aber vielleicht doch ein lesenswerter Zwischenruf in der Demenzdebatte:

Lesen und Schreiben werden durch Betrachten und Hören verdrängt:
Die Postliteraten können zwar lesen, erfüllen ihre primären Informations-und Freizeit-Bedürfnisse aber eher durch Audio, Video, Grafiken und Gaming. Selbst schreiben oder Gedrucktes lesen beschränken sie auf kurze persönliche Mitteilungen, kurze Informationsbedürfnisse und andere pragmatische Anwendungen wie Anweisungen, Beschilderung und Zeit-Management-Geräte-Einträge, auch das meist ergänzt durch Grafiken. Der Bedarf an größeren Mengen von Information wird durch visuelle und/oder auditive Formate befriedigt.

Der Trend beschleunigt sich. Einige Beispiele:

  • Social Networking wird „postliterat“ wie der Aufstieg von Pinterest, Twitter und Instagram belegt
  • YouTube ist die zweitgrößte Suchmaschine nach Google. Die Menschen suchen nach Informationen im Videoformat anstatt als Text
  • Infografiken ersetzen ganze Zeitschriftenartikel
  • In Flipped Classrooms sehen die Schüler aufgezeichnete Vorlesungen außerhalb des Unterrichts anstatt Lehrbücher zu lesen. (Finde ich gut.)
  • iPads sind erfolgreich wegen ihrer enormen Multimedia-Kapazität, für den Konsum, aber auch und vor allem für die Produktion. Viele Nutzer hatten bisher das Fehlen einer zweiten Kamera bemängelt (Video-Chat und Fotografieren/Filmen)

Ich denke, es ist eine natürliche Evolution in der Kommunikation:
Lehrer und Bibliothekare hängen an Gedrucktem. Dieses Kommunikation-/Informations-Format war für die Zivilisation auch ein paar Jahrtausende lang von Nutzen. Man hängt an dem, was man kann. Auch ich selbst bin (allerdings begeisterter) Neuling in Sachen Video-, Audio- und Grafik-Konsumtion und -Produktion.
Aber ich behaupte, dass es eine Rückkehr zu natürlichen Formen der multisensorischen Kommunikation ist – Sprechen, Erzählen, Dialog, Debatte und Dramatisierung.

Das kann jetzt digital so einfach wie früher das Schreiben gespeichert werden. Information, Emotion und Überzeugung können sogar besser in Multi-Media-Formaten vermittelt werden.

Leicht gekürzt und gelegentlich frei übersetzt.