Schlagwort-Archive: Lesekompetenz

Erwachsenen-PISA: Die Hälfte weiß, wie man E-Mails sendet

Da die PISA-Industrie nun einmal da ist, sucht sie sich neue Betätigungsfelder: PIAAC 2013 – Pisa für Erwachsene.

Ergebnisse der heute veröffentlichten Studie: Deutsche Erwachsene lesen statistisch signifikant schlechter als der OECD-Durchschnitt: Mittelwert 270, OECD-Durchschnitt 273, Japan 296. Welche Kompetenzunterschiede zwischen den Mittelwerten 270 und 273 liegen, konnte ich nicht herausfinden.

„Unter Lesekompetenz wird das Verstehen, Nutzen und Interpretieren von geschriebenen Texten verstanden. Die Lesekompetenz ist Voraussetzung, um das eigene Wissen und Potenzial weiterzuentwickeln und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. In diesem Bereich sind in PIAAC Aufgaben wie das Lesen und Verstehen eines Medikamentenbeipackzettels oder eines kurzen Zeitungsartikels enthalten. Ferner gibt es Aufgaben, die sich auf elektronische Medien beziehen, wie zum Beispiel das Lesen einer Stellenanzeige in einem Onlineportal.“ Weiterlesen

Förderprogramme zur Steigerung der Lesekompetenzen

Studien und Forschungsprojekte zur Steigerung der Lesekompetenz gibt es scheinbar wie Sand am Meer. Ich wollte schon einmal auflisten, wie viele allein vom Bundeswissenschaftsministerium initiiert und wie viele Millionen dafür ausgegeben wurden. Zurzeit läuft BISS.

Im Hinblick auf die hohe Zahl der einschlägigen Projekte und Studien bei deutschen Universitäten (z. B. Frankfurt, Köln, dem Max-Planck-Institut für Bildungsforschung; hier eine Auswahl) müsste man meinen, um die Lesekompetenzen deutscher Schüler/-innen sei es bestens bestellt.

Eine (veraltete) Übersicht gibt eine Expertise des BMBF: „Förderung von Lesekompetenz“ aus dem Jahr 2005.

Es geht mir an dieser Stelle nicht um die noch viel zahlreicheren Studien, in denen die vorhandenen Lesekompetenzen von Kleinkindern, Berufsschülern, Großstädtern oder TV-Konsumenten gemessen oder Diagnosebögen dafür entwickelt werden.

Vielleicht sind in den einschlägigen Instituten und Sonderforschungsbereichen noch Kapazitäten frei für meine Forschungsfavoriten:

  • eine Sekundäranalyse der Strategien und Module, die zur Steigerung der Lesekompetenz entwickelt wurden
  • eine Untersuchung, inwieweit diese Modelle Eingang in die Unterrichtspraxis gefunden haben
  • eine Studie, ob diese Forschungsarbeiten zur Steigerung der deutschen PISA-Ergebnisse beigetragen haben
Dass der Beitrag der Schulbibliotheken bei Deutschlands Professor/-innen kein Thema ist, habe ich in diesem Blog schon erwähnt. Die LAG ist mit diesem Thema beim DIPF, beim BMBF und bei Leseforscherinnen abgeblitzt.

Andreas Gruschka über Methodenwahn

Auszug aus einem Vortrag von Prof. Dr. Andreas Gruschka: Strategien zur Vermeidung des Lehrens und Lernens: der neue Methodenwahn.

Sätze daraus: „Inhalte dienen … als Spielmaterial zur Einübung in die Methode“ und „Der Lehrer verschwindet als solcher, er ist nur noch Methodentrainer.“ Weniger Lehren führt nicht zu mehr Lernen.

Prof. Gruschka zeigt an Beispielen im Geiste Prof. Klipperts, dass Textverarbeitungskompetenz – das Herausschreiben oder Unterstreichen von Wörtern – das Bemühen, einen Text zu verstehen, nicht ersetzen kann.

Siehe im Block auch hier!

Neue Grundschulstudie: Wann endlich liefert die Bildungsforschung?

Zum Beitrag vom 4. 10. über den Aufsatz von Martin Fromm passt die neue Grundschulvergleichsstudie gut. Seine Beobachtungen, wie solche Studien rezipiert werden, trifft wieder voll zu. Jeder macht sich seinen Reim und behauptet als Ursache das, wovon er/sie sowieso schon immer überzeugt war. Kaum ist das  Papier trocken bzw. die Webseite freigeschaltet, weiß jeder, woran schlechte Ergebnisse im Rechnen, Lesen und Zuhören(!) liegen: GEW: zu große Klassen, CDU Berlin: Jahrgangsübergreifender Unterricht, ein Prof.: Zu wenig Individualisierung, weiterer Prof: In Hessen wird zu viel gespielt, noch ein Prof.: In Berlin ist die Früheinschulung schuld, die brandenburgische Kultusministerin: Mehr Bildung in der Kita nötig, also zwischen 0 und 3.

Wenn man eine Bandbreite von je 10 Punkten um die bundesdeutsche Durchschnittspunktzahl als nicht-signifikante Abweichung zulässt, liegen Zweidrittel der Bundesländer im Durchschnitt, Bayern deutlich drüber, Hamburg, Bremen und Berlin drunter.

Die Studie wird als IGLU-Nachfolger gehandelt. Vergleichbar sind die Ergebnisse allerdings nicht. Bei der neuen Studie wurden die Aufgaben auf der Basis deutscher Bildungsstandards entworfen. Also mal wieder etwas Neues. Das beruhigt mich. Denn warum sind Hessens Grundschüler seit IGLU „schlechter“ geworden? Angeblich sollen  die IGLU-Forscher seinerzeit selbst darauf hingewiesen haben, dass Hessens Schüler gut lesen, weil sie viele Schulbibliotheken haben. Wurde jetzt eine andere Lesekompetenz gemessen? Haben etwa die hessischen Schulbibliotheken versagt?

Es wird Zeit für eine bessere Bildungsforschung. Weiterlesen

PISA: Warum Politiker zu blindem Aktionismus neigen

Aus: PISA: Die Ursachen. Und andere Geschichten, von Martin Fromm (2002?):

Ziemlich einleuchtend beschreibt Martin Fromm den verfehlten Umgang mit PISA-Ergebnissen:

„Sie (i. e. Politiker und wissenschaftliche Gutachter; GS)  stellen  die  falschen  Fragen,  weil  die  Fragen,  die  dann  in  Form  von Forschungsprogrammen  vorgegeben  werden,  sich  an  dem  orientieren,  was alltagstheoretisch das Problem zu sein scheint und sich nach außen plausibel darstellen lässt. Entsprechend fallen den an der bildungspolitischen Diskussion Beteiligten vorzugsweise solche Ursachen für die PISA-Misere ein, die
zum eigenen Programm passen – und für die es handliche Maßnahmen gibt: Medien-Schelte,  Appelle  an  die  Eltern,  Einrichtung  von  Ganztagsschulen usw.

Sie denken in den falschen Zeiträumen, weil Maßnahmen schon vor der Klärung  des  Problems  verkündet  und  vorbereitet  werden.  Sie  erwarten die falschen Antworten, wenn sie Bestätigungen für ihre alltagstheoretisch vorgefassten  Einschätzungen  erwarten,  der  Brauchbarkeit im aktuellen politischen  Verwertungskontext und der  Akzeptanz in der Bevölkerung oberste Priorität einräumen.“

Besonders lesenswert: S. 8 unten bis S. 15 (Seitenzählung im pdf): Fromm, PISA: Die Ursachen und andere Geschichten

 

PISA-Lesekompetenz und die Schulbibliotheken, noch einmal!

Der eingängige, aber fragwürdige Slogan, die niedrige Lesekompetenz deutscher 15jähriger erfordere mehr Schulbibliotheken, wurde im Basedow1764 mehrfach problematisiert.

Jetzt hat die Bundeszentrale für politische Bildung aktuelle Zahlen und Fakten zum Thema Bildung zusammengestellt, darunter auch Tabellen zur Lesekompetenz 2000 und 2009. Wieder lässt sich erkennen, dass der Slogan kontraproduktiv ist:

Einige Staaten, deren Messwerte schlechter als die deutschen sind, haben flächendeckend oder zumindest sehr viele Schulbibliotheken: Dänemark, Groß-Britannien, Portugal, Türkei.

Manche Staaten, deren Messwerte besser sind, haben kein nennenswertes Schulbibliothekswesen: Schweiz, Finnland (öffentliche Bibliotheken ja, Schulbibliotheken erst seit kurzem!)

Im Ranking verbessert haben sich Portugal (Schulbibliotheken!), Deutschland (kein nennenswertes Schulbibliothekssystem)

Im Ranking verschlechtert haben sich Finnland, Frankreich, Dänemark, allesamt „Schulbibliotheksländer“!

Nicht in der Tabelle ausgewiesen: Südtirol hat höchste Lesekompetenzwerte und ein höchst effektives Schulbibliothekswesen.

Not tut eine Wirkungsforschung, die den im Slogan unterstellten Zusammenhang zuverlässig nachzuweisen versucht. Möglich ist ja, dass das Schulbibliothekswesen in Frankreich und Groß-Britannien nichts zur Verbesserung der Lesefähigkeiten beiträgt. Das in Portugal und Südtirol aber vielleicht schon. Möglich ist auch, dass die empirische Bildungsforschung wie so oft im Nebel herumstochert und unpräziser als die Regenwahrscheinlichkeit in der Wettervorhersage ist. Wer Lesekompetenzen hat, was immer das auch im Einzelnen ist, benutzt (hoffentlich) die Schulbibliothek. Lesen hat er woanders gelernt.Angebracht wäre auch, den Nutzen der Schulbibliothek nicht unnötig auf PISA zu verengen.

Mir fällt bei Bildungsforschung immer eine australische Sekundäranalyse von annähernd tausend empirischen Studien über Ursachen von Schulerfolg ein. Im Ergebnis ließ sich keine schulische Maßnahme überzeugend isolieren. Einzig mit hoher Korrelation ließ sich der Einfluss des Elternhauses nachweisen. Deswegen kann man Eltern beruhigen: Wenn sie sich kümmern, überlebt ihr Kind jedes Schulsystem.

Trösten wir uns damit, dass die Lesekompetenz der Grundschüler/-innen weit besser ist (oberer OECD-Durchschnitt bei IGLU/PIRLS).

Ich hatte einmal angekündigt, nichts mehr dazu zu sagen. (In diesem Beitrag liegt der Schwerpunkt auf den Unterschieden zwischen den Bundesländern.)

Zweiter Kooperationsvertrag in Brandenburg?

Einer Pressemitteilung (zuletzt angesehen am 15.7.) ist zu entnehmen, dass erneut eine Kooperationsvereinbarung zwischen dbv und dem Bildungsministerium unterzeichnet wurde.

Wie schon in dem Vertrag von 2002 ist das Ziel, dass die öffentliche Bibliotheken und Schulen zu „strategischen Partnern“ beim Lesen lernen werden. Von Schulbibliotheken ist im Vertrag von 2002, wie bei derartigen Vereinbarungen zur Kooperation von Bibliothek und Schule fast üblich, nicht die Rede. Aber das Ministerium weist in der Pressemitteilung darauf hin, dass es den Preis „Brandenburger Schulbibliothek des Jahres“ gibt und in 490 von 750 Schulen eine Bibliothek.

Der neue Vertrag ist bisher weder beim dbv noch beim Ministerium online einsehbar. Der erste Vertrag hatte keine messbaren Auswirkungen auf das PISA-Lesekompetenzenergebnis der Brandenburger Schülerinnen und Schüler.

Das Konzept solle im kommenden Schuljahr greifen. Es sähe unter anderem Besuche von Klassen in Bibliotheken und das Organisieren von Leseveranstaltungen in Schulen vor. Wo da jetzt das Neue ist, vermag ich nicht zu erkennen. War die Vereinbarung von 2002 so schlecht, dass sie jetzt erneuert werden muss?

Vielleicht ist das das Neue: „Vor allem Kinder aus bildungsfernen Haushalten machen um die Bibliotheken eher einen Bogen und werden von den Eltern wenig oder gar nicht dazu angeregt, etwas zu lesen. »Wenn sie aber in der Klasse die Bibliothek besuchen, dann können wir sie fangen«, glaubt Cornelia Stabrodt vom Bibliotheksverband.“ (ND v. 4.7.11)

Wiedervorlage 2020?

Update 5.7.: Die Pressestelle des Ministeriums antwortet erst einmal nicht auf meine Anfrage. Aber das „Neue Deutschland“ weiß es genau: Dort wird von Aktualisierung der Vereinbarung von 2002 gesprochen. Das stand nicht in der Pressemitteilung des MBJS. Beim dbv-Landesverband gibt es online weder eine Pressemitteilung noch die Vereinbarung (Stand 5.7.11).

Update 9.7.: Der ND-Journalist antwortet mir, er hätte die Kenntnis aus einer Pressekonferenz der Ministerin. Warum steht das dann nicht in der Pressemitteilung und warum verkündet die Ministerin als Neuheit, was schon in der Vereinbarung von 2002 stand?

Update 13.7.: Im Ministerium wird mir geraten, ich solle doch den dbv nach dem neuen Vertrag fragen!

Update 1.8.: Das Ministerium stellt mir die neue Vereinbarung nun doch zur Verfügung.

Sie ist kürzer: 1,3 statt 3 Seiten. Unterstützungsangebote für die Lehrerfortbildung (Punkt 3.3 im Vertrag von 2002) und die Landesfachstelle f. Archive und öff. Bibliotheken (Punkt 3.4) werden nicht mehr erwähnt.

Jetzt gibt es einen Anhang, ein Formular für Vereinbarungen zwischen Schule und öffentlicher Bibliothek. Die Aufgaben der Schule umfassen 9 Punkte, die der öB 12 Punkte. Auch für Ganztagsschulen wird die Kooperation mit der öB empfohlen. Die Bibliothekar/-innen verpflichten sich zu ständiger Fortbildung, um die besonderen Anforderungen der Kooperation mit der Schule in hoher Qualität erfüllen zu können. Wo sie das tun, ist nicht Gegenstand der Vereinbarung.

Es gilt für mich weiterhin: Viel heiße Luft. Der Zusammenhang zur PISA-Lesekompetenz, der als Begleitmusik immer erwähnt wird, ist naiv.

Auch wenn der dbv erneut, im Gegensatz zu den aktuelleren Beteuerungen seiner Funktionär/-innen die Schulbibliotheken nicht zur Kenntnis nimmt, weiß das MBJS sehr wohl, dass es sie gibt. Das gibt Anlass, optimistisch zu sein.

Noch ein Wort zu den Kooperationsvereinbarungen: Eigentlich müssten die Kommunen diese Vereinbarung unterschreiben. Das Ministerium verweist darauf, dass die Schulen und die Bibliotheken kooperieren. Das Land ist nicht zuständig, das hat mir MP Platzeck schon vor Jahren schreiben lassen. Dem Land kann egal sein, was in dem Kooperationsvertrag steht. Es ist ja nicht zuständig.

Vielleicht hätten die Kommunen solche „Verträge“ auch gar nicht erst abgeschlossen. Es gibt Verwaltungsrechtler, die den Kopf schütteln, wenn zwei nicht bzw. beschränkt rechtsfähige Einrichtungen wie  Schule und Stadtbibliothek Verträge abschließen.

 

Leseleistung und Schulbibliotheksnutzung. Eine Black Box?

Im Zusammenhang mit der Arbeit der britischen Schulbibliothekskommission, über die ich kürzlich berichtet habe, ist eine Umfrage über die Nutzung von Schulbibliotheken entstanden:

Christina Clark (2010)  Linking School Libraries and Literacy : Young people’s reading habits and attitudes to their school library, and an exploration of the relationship between school library use and school attainment. National Literacy Trust http://www.literacytrust.org.uk/assets/0000/5760/Linking_school_libraries_and_literacy_2010.pdf

17000 Schüler/-innen in 112 Schulen wurden Ende 2009 befragt. Heraus kam, dass Mädchen die Schulbibliothek mehr benutzen als Jungen, Jüngere mehr als Ältere, Kinder mit asiatischem Migrationshintergrund mehr als Weiße und Schwarze. Die Nutzung sei nicht schichtspezifisch.

Ergebnisse
Fast 70% der Befragten nutzen die Schulbibliothek. Die Gründe sind: Sie hat interessante Bücher. Sie hat nicht nur Bücher, sondern auch andere Medien. Sie hat Computer. Es hilft ihnen im Unterricht. Die Freunde gehen hin. Es ist ein angenehmer Ort.

Alles nicht sonderlich überraschend, das meiste evident. Auch die Zweidrittelnutzung kommt in den meisten Umfragen vor. (Hatte ich auch bei einer Umfrage unter sechs Schülerjahrgängen in meiner Schule.)

Was mir am meisten imponiert ist die Tatsache, dass es solche Umfragen gibt.  (Frau Schavan hat mir gerade mitteilen lassen, dass sie meinen Vorschlag, Schulbibliotheksforschung durch ihr Haus zu finanzieren, interessant findet, aber in den nächsten acht Jahren liefe erst einmal ein Leseförderprojekt mit Arztpraxen und öffentlichen Bibliotheken.

Etwas aber fällt mir auf: Herausgefunden wurde in der Studie, dass die Schulbibliotheksbenutzer ihre Lesekompetenz  doppelt so hoch einschätzen wie die Nichtnutzer. Auch in weiteren Items zu  Lesen (Lesefreude, -häufigkeit u. a. m.) unterscheiden sich Nutzer und Nichtnutzer erheblich.

Die Verfasserin der Studie weist darauf hin, dass sie einen Zusammenhang von Schulbibliotheksnutzung und Leseleistung (reading attainment) beobachtet hat, dass sie aber nicht sagen kann, ob die gute Leseleistung zur Nutzung motiviert oder die Schulbibliotheksnutzung die Ursache guter Leseleistung ist.

(Womit ich wieder bei meiner Skepsis gegenüber empirischer Bildungsforschung bin.)

Kann jemand mal eine Umfrage designen, in der gefragt wird, warum jemand zum Leser geworden ist? Oder kann man Schüler/-innen beobachten, die mehrere Jahre eine gute Schulbibliothek benutzen (dürfen/müssen)?

Nachtrag: Irritierend finde ich , dass zur gleichen Zeit eine Umfrage derselben Institution zur Nutzung der öffentlichen Bibliotheken unter denselben (?) 17000 Schüler/-innen zu denselben Antworten führt, nur dass diesmal die öffentliche Bibliothek gemeint ist.

Die Schlagzeile, mit der der Bericht aufgemacht ist, lautet genau wie ein Befund der Schulbibliotheksumfrage:

„Children who use the library are twice as likely to be above average readers“.

Ist das Ressourcenoptimierung? Oder liegt es an meiner nicht optimierten Informationskompetenz?

Erwerb von Kompetenz oder von Wissen?

Seit einiger Zeit lese ich, dass unser Land von christlich-jüdischer Kultur geprägt wäre. Das ist neu. Bisher war immer nur vom christlichen Abendland die Rede. (Wobei das Christentum, wenn man Bischof Huber und dem Papst Glauben schenkt,  gleich auch für Aufklärung und Menschenrechte gesorgt hätte.)

Die Geschichte der Juden in Europa, nicht zuletzt in Deutschland, gibt keinen Anlass für jenes Doppelattribut. Nicht gemeint sind ja wohl bedeutende jüdische Wissenschaftler oder Künstler. Gemeint ist die Religion.

Ein weiteres Beispiel ist noch frischer: Die Linksparteivorsitzende Gesine Lötzsch meint erkannt zu haben, dass Rosa Luxemburg in ihren gesellschaftspolitischen Äußerungen eine Synthese von Kommunismus und Liberalismus zustande gebracht hätte.

Wenn man dialektisch geschult ist, mag das nachvollziehbar sein: Der Sozialismus nimmt all das Gute in sich auf und entwickelt weiter, was von der Menschheit je erdacht wurde.

Für alle anderen gilt: Je mehr man das hört, desto glaubwürdiger wird es.

Für einen unbefangenen Betrachter ist es nicht so glatt nachvollziehbar, dass eine Anhängerin des sowjetischen Rätesystems und Gegnerin des bürgerlichen Parlaments („Kretinismus“) eine Schwäche für den Liberalismus hat. Sie hat Liberale als Andersdenkende noch nicht einmal respektieren, geschweige denn schützen wollen, wie das die Legende behauptet. Das Recht, anders zu denken, galt ihr ausschließlich für die Meinungsbildung in der bolschewistischen Partei und war gegen Lenin gerichtet, der sich einen Unfehlbarkeitsanspruch zugelegt hatte.

In Informationskompetenz geschulte Schüler/-innen werden, befragt nach dem Inhalt des obigen Textes, wohl zu lesen glauben, dass Rosa Luxemburg Kommunismus und Liberalismus zusammengebracht hätte. Mehr Punkte würden Schüler/-innen erhalten, die herauslesen, dass Frau Lötzsch dies von Rosa Luxemburg behauptet.

Wie kriegt man nun Schüler/-innen dazu zu erkennen, dass da etwas behauptet wird, und zu fragen, ob das überhaupt stimmt, was da behauptet wird? Wie kriegt man Schüler/-innen zu einer Fragehaltung?

(So übersetze ich Stufe 1 der AASL-Definition von Informationskompetenz: Erkennen eines Informationsbedarfs. Mit dieser Stufe halten sich die IK-Experten m. W. nicht lange auf.)

Das Thema interessiert mich schon sehr lange. Ein wesentlicher Grund für die Entstehung der LAG Schulbibliotheken in Hessen Ende der 80er waren nämlich Befunde, dass Schüler/-innen schlecht läsen und vor allem nicht mehr verstünden, was sie läsen. Dagegen wollten wir mit den Sachbuchkisten des Projekts „Bibliothek in der Kiste“, mit dem Training von Arbeits- und Lesetechniken und einem Bibliothekscurriculum (d. h. Fachunterricht in der Bibliothek) vorgehen.

Dann aber breitete sich in den hessischen Schulen das Klippert-Fieber aus. Jetzt wurden jahrelang von ganzen Kollegien nur noch Methoden durchgespielt. Die Exotentruppe, die Arbeitstechniken in Schulbibliotheken trainieren wollte, ließ man links liegen.

Später sickerten aus amerikanischen Universitätsbibliotheken (digitale) information literacy-Konzepte in den Schulbereich. In den USA, in der angelsächsischen Welt überhaupt, wurden sie zum zentralen Thema der school library media specialists und teacher librarians.

Ausläufer erreichten auch Deutschland. Dort interessierten sich die Bibliotheks-, Dokumentations- und Informationsspezialisten dafür; zehntausende Schulbibliotheken und –bibliothekare wie in USA gab es ja nicht. Von jenen wird das Thema entweder an die Schulen herangetragen oder die Schulen werden aufgefordert, sich in öffentlichen Bibliotheken informationskompetent machen zu lassen.

Der Kompetenzbegriff bemächtigte sich des Schulwesens. Erste Befunde zeigen, dass Kompetenz wenig mit Wissen zu tun hat und fachunspezifische Schlüsselqualifikationen überschätzt werden. Der Schriftsteller Gerd Loschütz hat 2003 auf einem Schulbibliothekstag den Begriff „Kompetenz“ sehr süffisant seziert.

Kompetenz kann nicht losgelöst vom Fach, von Fachwissen, vermittelt werden. Das ist die Schwäche des Klippert-Konzeptes und des bibliothekarischen Anspruchs, Schüler/-innen in Informationskompetenz zu unterrichten. Fachunterricht und Informationskompetenzvermittlung kann man nicht trennen. Das demonstriert eine Bibliothekswissenschaftlerin am Beispiel des Biologiestudiums:

May, Monika, Fachspezifische Vermittlung von Informationskompetenz in der Universität: Umsetzung und Akzeptanz am Beispiel des Faches Biologie der TU Darmstadt, Berlin : Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin, 2008. – 64 S. – (Berliner Handreichungen zur Bibliotheks- und Informationswissenschaft ; 219) ISSN 1438-7662

Wenn Fachwissen wieder ins Spiel kommt, weist das in die richtige Richtung.

In vorinternettischer und vorkompetenzorientierter Unterrichtplanung hätte ein Lehrer wohl zwei Texte vorbereitet: Einmal einen Auszug aus der Rede von Frau Lötzsch und einmal einen Auszug aus Texten von Frau Dr. Luxemburg. Je nach zur Verfügung stehender Unterrichtszeit hätte man auch eine Fallanalyse daraus machen können: Wie berichten Zeitungen darüber? Wo liegen die Interessen von Frau Lötzsch? Was muss man noch wissen, um den Standpunkt von Frau Luxemburg verstehen zu können?

Wenn man ein paar Jahre so hätte arbeiten können! Aber der Stellenwert von politischer Bildung und Geschichtsunterricht, sprich ihr Unterrichtsanteil, ist kontinuierlich gesunken.

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Projekt „Lesestart“ des BMBF

Die Stiftung Lesen wird ein acht Jahre dauerndes Projekt (doc-Datei )durchführen, bei dem es um Leseförderung in Arztpraxen, öffentlichen Bibliotheken und Familien geht. Es richtet sich an Kinder zwischen einem und sechs Jahren in sozialen Brennpunkten.

Die Gesamtkosten belaufen sich auf etwa 26 Mio. Euro. Das Geld kommt aus dem Haushaltstitel „Stärkung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.

Für meinen Vorschlag, wenn schon nicht Schulbibliotheken, was föderalismusrechtlich nicht ganz einfach ist, dann wenigstens die Forschung zu Schulbibliotheken zu fördern, bekundete ein BMBF-Sprecher Interesse.

Update 19.11.2011