Der Bonner Erziehungswissenschaftler Volker Ladenthin hat sich – in der FAZ v. 12.4.12, p 6 – den ersten Bildungsbericht der OECD zum deutschen Schulwesen aus dem Jahr 1973 angeschaut. Das deutsche Bildungswesen wäre ineffektiv, ungerecht und unzeitgemäß, liest er dort. Die Vorschläge von 1973: Einheitlichkeit statt vieler Schultypen, Durchlässigkeit, Kompetenzen statt Fachwissen, längeres gemeinsames Lernen, auf lebenslanges Lernen vorbereiten, um das wirtschaftliche Wachstum zu erhalten.
Man liest es mit offenem Mund: Seit 40 Jahren kommen die OECD-Forscher zum selben Ergebnis: Deutsches Schulwesen mangelhaft!
Wieso sind weder das Schulwesen noch die deutsche Wirtschaft in diesen 40 Jahren kollabiert?
Prof. Ladenthin konstatiert: Wenn man ein Fieberthermometer ins Badewasser hält, in ein Roastbeef steckt oder einem Patienten in den Mund: Irgendeine Temperatur wird immer angezeigt. Über Qualität und Eigenheit des Gemessenen erführe man nicht viel. So sei es auch bei der OECD-Bildungsforschung.
Nachtrag 12.9.12: Die OECD-Wissenschaftler/-innen polemisieren weiter: Eine ihrer Kennziffern ist, dass der Schul-/Berufsabschluss der Kinder höher als der der Eltern sein muss. Wenn der Vater Gymnasiallehrer ist, der Sohn Hochschullehrer wird und dessen Tochter Pferdewirtin, ist das nachteilig für das Bildungsranking Deutschlands. Wenn alle Eltern Professoren sind, kann Deutschland im Bildungsmonitoring nur noch absteigen, oder? Auch die Studienanfängerquote liegt mit 42% alarmierend niedrig, anderswo liegt sie bei 62%.
Vielleicht sollte man die duale Berufsausbildung in die Unis verlagern. So ungefähr hat das eine deutsche OECD-Expertin in einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk vorgeschlagen. Gefragt, wie man denn all die Akademiker in die Berufswelt, in der man händeringend Facharbeiter sucht, einschleusen will, meinte sie ungerührt, dann müsste eben die Universität auf die Berufspraxis vorbereiten.
Nachtrag 27.02.13: Das duale Ausbildungswesen ist zum Exportschlager geworden: Spanien, Schweden, Italien, Brasilien führen es ein. Präsident Obama lobt es. Die deutschen Experten befürchten jetzt, dass es in manchen Ländern zu schnell geht oder die Voraussetzungen nicht vorhanden sind und so das System in Misskredit geraten könne.
Nachtrag 27.3.14: Der Bildungsforscher Rainer Bölling setzt sich kritisch mit den Statistiken der OECD auseinander: „Was sind Bildungsstatistiken der OECD wert?“, FAZ v. 27.3.14, p 6. Oft würden Äpfel mit Birnen verglichen. Der amerikanische Highschoolabschluss wurde fünzig Jahre lang z. B. mit dem deutschen Abitur verglichen. Wenn in einem Land Krankenschwestern studieren müssten, in einem anderen nicht, falle die Studierendenquote unterschiedlich aus. Während sich in Deutschland die Abiturientenquote in den vergangenen fünfzig Jahren verzehnfacht habe, sei die Quote der Hochqualifizierten (Studien- oder Meisterabschluss ) in Deutschland laut den OECD kaum gestiegen.
Über die Qualität der Bildung sagen die Zahlen der Abschlüsse nichts aus, das geben die Bildungsfachleute der OECD selbst zu. Das Hauptproblem scheint die Klassifizierung zu sein.
Dass man den Zahlen nicht zu vile Vertrauen schenken dürfe, wurde laut Bölling schon 1961, zu Beginn der OECD-Bildungsforschung gesagt.