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Lehrer verdienen weniger als vergleichbar Qualifizierte

Endlich einmal eine OECD-Studie, der ich vorbehaltlos zustimmen kannI! Schon seit vielen Jahren schimpfen Lehrerhasser auf die europaweit am höchsten (nach Luxemburg) bezahlten deutschen Lehrer. Differenzierungen derart, dass Lehrer in vielen anderen Ländern eine geringere Unterrichtsverpflichtung haben oder anderweitig entlastet sind, z. B. keine Pausenaufsicht und keine Vertretungsstunden machen müssen oder pädagogische Assistenten haben, die ihnen einen Teil der Aufgaben abnehmen, beeindruckten wenig. Den Hinweis, dass Deutschland ein Hochsteuerland sei, habe ich nie mit Zahlenvergleichen belegen können. Einzig der Satz, dass es in Deutschland insgesamt ein vergleichsweise hohes Lohn- und Gehaltsniveau gäbe, von dem man die Lehrer schlecht ausnehmen könnte, verfing ein wenig.

In ihrer weltweiten Datenerhebung „Bildung auf einen Blick“ legt die OECD auch Daten zu Lehrergehältern vor. Das ist kein einfaches Unterfangen, weil es erhebliche Unterschiede gibt. Es gibt immer noch viele Alterstufen mit jeweils steigendem Betrag. Hingewiesen wird auf Unterschiede bei der Besteuerung und den Sozialversicherungsabgaben, sie sind nicht erhoben worden.

Auch der Verdienst pro Unterrichtsstunde ist problematisch, da die Unterrichtsverpflichtung zwischen den Schulstufen und zwischen den Staaten variiert.

Dennoch eine lesenswerte Untersuchung, die den Blick weitet.

 

via News4Teachers

OECD und Computer in der Schule: nichts Neues

Die OECD-Bildungsforscher haben ihre Daten von 2012 noch einmal durch die Rechner laufen lassen und die Ergebnisse zum Thema Schule und Computer veröffentlicht. Im Grunde kommt nichts Neues heraus:

Was die Digitalisierung für die Bildung bringt, ist auch durch Pisa 2012 nicht deutlicher geworden. Natürlich hinkt Deutschland bei der Computerausstattung immer noch hinterher, aber diesmal muss der OECD-Bildungsforscher Prof. Andreas Schleicher darauf verzichten, allein das deutsche Bildungssystem an den Pranger zu stellen.

Denn auch in Ländern, wo sich weniger Schüler als in Deutschland einen Schulcomputer teilen müssen und die am Bildschirm verbrachte Unterrichtszeit drei- bis viermal so lang ist, lässt sich eine Leistungsverbesserung durch digitale Medien nicht eindeutig nachweisen.

Gut surfen konnten im PISA-Test vor allem Schüler aus Singapur, Hongkong, Korea oder Kanada. Sie sind auch bei den PISA-Messungen nichtdigitaler Lese- und Rechenkompetenz führend. Da stellt sich die Frage, ob gute Schüler auch in der Computernutzung besser sind oder ob die Computernutzung durch Schüler bessere Messwerte in Lesen und Rechnen bewirkt. (Eine Frage, die auch in der Schulbibliotheksforschung beantwortet werden muss: Machen Schulbibliotheken lesekompetentere Schüler oder sind es die lesekompetenten Schüler, die von der Schulbibliothek profitieren?)

Eindeutig ist „Computer-PISA“ jedenfalls nicht: Zu wenig und viel Computereinsatz in der Schule bringt nichts. moderater Einsatz scheint am ehesten zur Verbesserung von Schülerleistung beizutragen. Insgesamt aber wird nicht ersichtlich, dass die Milliardeninvestitionen in Unterrichtstechnologie überzeugende Ergebnisse zeitigen.

Der umstrittene Bildungsexperte Schleicher empfiehlt daher, den Lehrern mehr digitale Komptenzen beizubringen und die Effizienz der Computernutzung im Unterricht zu verbessern.

Natürlich sind es familiäre Unterschiede, die deutlich hervortreten: Schüler aus ärmeren Familien spielen mehr mit dem Computer und verbringen mehr häusliche Zeit mit digitalen Geräten als Schüler aus höheren Sozialschichten (Täglich 144 Minuten statt 127). Wohlhabendere Familien würden die Surfzeit begrenzen, das Medium würde eher als Informations- denn als Unterhaltungsmedium genutzt.

Siehe auch hier!

OECD findet wieder ein deutsches Bildungsproblem

Die OECD-Bildungsforscher haben alle Hände voll zu tun. Schon wieder ist Deutschland auffällig. Nach der niedrigen Abiturientenquote von ca. 55%, den nur durchschnittlichen PISA-Ergebnissen, der angeblich problematischen dualen Berufsausbildung hat Professor Schleicher ein neues Defizit ausgemacht: Die niedrige Frauenquote im MINT-Bereich. Mehr als in den anderen Industriestaaten wären Mädchen weniger an Mathematik und den Ingenieurberufen interessiert. Prof. Schleicher weiß auch, woran es liegt: Die Eltern trauen ihren Töchtern nicht zu, dass sie MINT-Berufe ergreifen.

Das kann doch in Angriff genommen werden. Meine Vorschläge: Schulungskurse für Eltern, Verbot von Bilder- und Kinderbüchern, die traditionelle Rollenvorbilder perpetuieren, statt dessen Bilder von weiblichen Köchen und männlichen Schiffskapitänen, in den Kitas müssen die Jungen mindestens zweimal in der Woche mit Puppen und die Mädchen mit dem Märklin-Baukasten spielen.

Science Files hat eine verblüffende Erklärung: Der Genderismus ist schuld.

Ich hatte vor Mathe in der Unterstufe wahnsinnige Angst. Das lag am weiblichen Mathelehrer. Der war ein Drachen. (Sorry, sexistisch, zumal Drachen männlich ist.)

Wie war das nochmal mit den Jungen, die in nahezu jedem Schulleistungstest generell schlechter abschneiden als Mädchen?

Nachtrag November 2015: Als ob das nicht reicht. Aber die OECD-Bildungsforscher/innen lassen nicht locker: Jetzt glauben sie herausgefunden zu haben, dass die jungen Deutschen Bildungsabsteiger wären. Das durchschaut sogar der Spiegel.

Deutsches Schulsystem besonders durchlässig

Das (Arbeitsmarktforschungs-)Institut für die Zukunft der Arbeit (IZA) hat in einer Studie die Durchlässigkeit des deutschen Schulsystems mit der in anderer Staaten verglichen und kommt zu dem Ergebnis, dass es eine besonders hohe Durchlässigkeit hat. Der Vorwurf, Schüler würden in Deutschland zu früh selegiert und ihre Bildungschancen damit verringert, wird von den Verfassern der Studie durch ihre Ergebnisse widerlegt. Sie fanden heraus, dass Realschüler und Gymnasiasten, die leistungsmäßig genau genommen zwischen beiden Schulformen standen, sich im Berufsleben (Abschlüsse, Gehalt) nicht signifikant unterscheiden.

Ergänzend sei von mir angemerkt: In Baden-Württemberg kommen etwa 30% der Abiturienten von den Beruflichen Gymnasien, die meist von Realschülern mit gutem Mittleren Abschluss besucht werden.

Anders als die OECD-Schulforscher/-innen, die seit 40 Jahren das deutsche Schulsystem überwiegend schlecht bewerten, raten die IZA-Forscher davon ab, ständig die Schulstruktur zu verändern.

Wie immer in den Sozialwissenschaften gibt es also unterschiedliche Forschungsergebnisse. Bertelsmann-Stiftung, Vodafone-Stiftung, OECD und das IZA selbst(!) hatten bisher die Chancenungerechtigkeit und die hohe Selektivität des deutschen Schulsystems wissenschaftlich bewiesen. Jetzt geht es einmal andersherum. (Genau genommen veröffentlicht das Institut IZA Studien als Diskussionspapiere, identifiziert sich also nicht mit den jeweiligen Befunden.)

Wer die Schulsysteme Groß-Britanniens und der USA kennt oder die lateinamerikanischer Staaten mit ihrem jeweils hohen Anteil an exklusiven Privatschulen, hat schon immer daran gezweifelt, dass ausgerechnet das dreigliedrige deutsche Schulsystem den höchsten Reformbedarf hätte.

Nachtrag: In einem FAZ-Leserbrief widerspricht ein Professor der Studie und wirft ihr Fehler und Fehlinterpretationen vor. So würde mit mehr Durchlässigkeit am oberen Ende der Sekundarstufe mit hohen Kosten nur das geheilt, was am Anfang durch zu frühe Auslese verhindert worden wäre.

Auch wenn das so wäre, müsste man es m. E. Durchlässigkeit nennen. In meiner Praxis habe ich in Beratungsgesprächen mit Eltern zu Beginn des fünften Schuljahres sehr häufig darauf hingewiesen, dass es günstiger wäre, das Kind mit seinen durchschnittlichen oder gar unterdurchschnittlichen Leistungen nicht auf Biegen und Brechen im Gymnasium anzumelden und es in eine frustrierende Schullaufbahn in der Mittelstufe zu schicken (Blaue Briefe, Nachprüfung, Nichtversetzung), sondern eine erfolgreiche Hauptschul- oder Realschullaufbahn mit einem weiterführenden Abschluss fortzusetzen. Dafür gab es – schon immer und immer besser werdend- eine Reihe von Möglichkeiten.

Philologenverband warnt vor Überakademisierung

Besorgnis über die drohende Fehlsteuerung des deutschen Bildungssystems treibt den Deutschen Philologenverband um:

„Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass in diesem Jahr zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik mehr Neueinschreibungen an Hochschulen (500 000) als neue Ausbildungsverträge (482 000) zu verzeichnen waren, hat der Bundesvorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger, vor einer drohenden Fehlsteuerung des deutschen Bildungswesens gewarnt. Diese Fehlsteuerung werde dramatische Auswirkungen auf die künftigen Arbeitsmarktchancen von Jugendlichen und Hochschulabsolventen, die Qualität von Schulen und Hochschulen, die Zukunft der weltweit hochgelobten dualen Ausbildung und damit das Wirtschaftswachstum und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands generell haben, betonte der Verbandsvorsitzende in Berlin.

In diesem Zusammenhang kritisierte Meidinger heftig die Kampagne der OECD für eine „100-Prozent-Akademiker-Gesellschaft“.Der DPhV-Vorsitzende verwies darauf, dass nach aktuellen Studien bereits jetzt ein Drittel der Hochschulabsolventen in nichttechnischen und nicht wirtschaftsnahen Fächern keine dem erworbenen Abschluss entsprechend adäquat bezahlte Stelle auf dem Arbeitsmarkt finde. Während Bildungsökonomen den volkswirtschaftlichen Schaden durch fehlende Ingenieure auf Euro und Dollar ausgerechnet hätten, vermisse man eine entsprechende Berechnung für die jedes Jahr größer werdende Bedarfslücke im Bereich von Facharbeiterinnen und Facharbeitern.“

Erwachsenen-PISA: Die Hälfte weiß, wie man E-Mails sendet

Da die PISA-Industrie nun einmal da ist, sucht sie sich neue Betätigungsfelder: PIAAC 2013 – Pisa für Erwachsene.

Ergebnisse der heute veröffentlichten Studie: Deutsche Erwachsene lesen statistisch signifikant schlechter als der OECD-Durchschnitt: Mittelwert 270, OECD-Durchschnitt 273, Japan 296. Welche Kompetenzunterschiede zwischen den Mittelwerten 270 und 273 liegen, konnte ich nicht herausfinden.

„Unter Lesekompetenz wird das Verstehen, Nutzen und Interpretieren von geschriebenen Texten verstanden. Die Lesekompetenz ist Voraussetzung, um das eigene Wissen und Potenzial weiterzuentwickeln und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. In diesem Bereich sind in PIAAC Aufgaben wie das Lesen und Verstehen eines Medikamentenbeipackzettels oder eines kurzen Zeitungsartikels enthalten. Ferner gibt es Aufgaben, die sich auf elektronische Medien beziehen, wie zum Beispiel das Lesen einer Stellenanzeige in einem Onlineportal.“ Weiterlesen

Kurswechsel bei der OECD: Duales Berufsbildungssystem ist jetzt klasse!

Jahrelang wurde Deutschland von den Bildungsexpert/-innen der OECD wegen des dualen Ausbildungssystems gerügt. Erst wenn auch Krankenschwestern und Zahntechniker ihren BA machen müssen, kann Deutschland wohl Anschluss an das angelsächsische Bildungssystem gewinnen. Unterdessen hatten sich zahlreiche Länder für das duale Ausbildungswesen Deutschlands interessiert. Jetzt gibt die OECD ihren Widerstand auf.

Staatsschule oder Schulkonzern? Eine schleichende Revolution

Das digitale Geschnatter von pädagogischen Revolutionen, die mit jeder neuen Software oder jedem neuen Gerät, sei es Twitter, Pinterest, iPhone oder Tablet, fällig wären, ist wenig mehr als ein Wetterleuchten am Horizont. Die wirkliche Revolution findet anderswo statt.

Medienkonzerne und Unternehmensberatungen haben Größeres im Blick: den Bildungsmarkt. In USA ist das fast eine halbe Billion € im Jahr. Die weltweit verschuldeten Staaten und Gebietskörperschaften suchen nach Wegen, Ausgaben zu kürzen. Sie sind nicht abgeneigt, ihre Schulen zu privatisieren. Schon jetzt ist allein der durch PISA entstandene Bildungsmarkt beträchtlich. Mit der Diagnostik und den Übungsmaterialien, mit denen man sich auf die Tests vorbereitet, werden Milliarden umgesetzt. Mit kompetenzorientierten Curricula und Prüfungen, wie sie die OECD durchgesetzt hat, wird der schulische Content betriebswirtschaftlich erschlossen. Schulerfolg ist messbar, das Datenmaterial, das pro Schülerlaufbahn entsteht, kann für eine exakte Diagnose und Therapie (Förderplan) genutzt werden. In den Medienkonzernen entsteht die Software, mit der wie bei einem Navi präzise gesagt werden kann, in welcher Zeit welches Kompetenzniveau in, sagen wir, Chinesisch oder Chemie erreicht werden wird. Die Apps, die enhanced E-Books, die Blended-Learning-Programme sind da,  mindestens in der Beta-Version.

Nachtrag: Wireless Generation bietet Softwareprogramme und Diagnosetools für Schulen, Basisversionen kostenlos. Der Bundesstaat New York lässt die Firma die standardisierten Tests durchführen. Die Firma gehört Robert Murdoch. Ins Spiel gebracht wurde sie von der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung.

Schule wird so planbar wie eine Autoinspektion. Der Meister fährt es auf die Hebebühne, steigt in die Grube, tippt in den Rechner und druckt den Diagnosebogen aus. Da steht, was bis wann erledigt ist und was es kostet.

Anders als Schule. Da wird dauernd bei den Eltern Geld eingesammelt, da fallen Stunden aus, ein Elternabend muss besucht werden, die Schulbücher sind alt und unhygienisch. Die Werkstatt ruft an, ob ich zufrieden bin. Die Schule hat das bei meinen Kindern nie gemacht. Alles ist viel komplizierter als beim Auto.

Schule ist inzwischen betriebswirtschaftlich ziemlich gut kalkulierbar: Businessplan, Gewinn-Verlust-Rechnung, Break-Even-Point, Target-Costing, Controlling. Die amerikanischen Schulfirmen, die britischen Prüfungsfirmen zeigen es. Auch Teile ließen sich outsourcen: Mathematikunterricht, Sprachunterrricht, Förderung behinderter Kinder. Amerikanische Schulfirmen versuchen u. a. Lehrer einzusparen und durch Selbstlernprogramme zu ersetzen. Sie betonen, dass sie zwar weniger Lehrer beschäftigen, die aber dafür besser bezahlen als die Staatsschulen ihr Personal. Gegen Kritik sind sie gewappnet: Es gäbe einfachere Branchen, um Geld zu verdienen.

Vgl. Blog „Fluency 21“

OECD: Deutsches Schulwesen seit 40 Jahren mangelhaft

Der Bonner Erziehungswissenschaftler Volker Ladenthin hat sich – in der FAZ v. 12.4.12, p 6 – den ersten Bildungsbericht der OECD zum deutschen Schulwesen aus dem Jahr 1973 angeschaut. Das deutsche Bildungswesen wäre ineffektiv, ungerecht und unzeitgemäß, liest er dort. Die Vorschläge von 1973: Einheitlichkeit statt vieler Schultypen, Durchlässigkeit, Kompetenzen statt Fachwissen, längeres gemeinsames Lernen, auf lebenslanges Lernen vorbereiten, um das wirtschaftliche Wachstum zu erhalten.

Man liest es mit offenem Mund: Seit 40 Jahren kommen die OECD-Forscher zum selben Ergebnis: Deutsches Schulwesen mangelhaft!

Wieso sind weder das Schulwesen noch die deutsche Wirtschaft in diesen 40 Jahren kollabiert?

Prof. Ladenthin konstatiert: Wenn man ein Fieberthermometer ins Badewasser hält, in ein Roastbeef steckt oder einem Patienten in den Mund: Irgendeine Temperatur wird immer angezeigt. Über Qualität und Eigenheit des Gemessenen erführe man nicht viel. So sei es auch bei der OECD-Bildungsforschung.

Nachtrag 12.9.12: Die OECD-Wissenschaftler/-innen polemisieren weiter: Eine ihrer Kennziffern ist, dass der Schul-/Berufsabschluss der Kinder höher als der der Eltern sein muss. Wenn der Vater Gymnasiallehrer ist, der Sohn Hochschullehrer wird und dessen Tochter Pferdewirtin, ist das nachteilig für das Bildungsranking Deutschlands. Wenn alle Eltern Professoren sind, kann Deutschland im Bildungsmonitoring nur noch absteigen, oder? Auch die Studienanfängerquote liegt mit 42% alarmierend niedrig, anderswo liegt sie bei 62%.

Vielleicht sollte man die duale Berufsausbildung in die Unis verlagern. So ungefähr hat das eine deutsche OECD-Expertin in einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk vorgeschlagen. Gefragt, wie man denn all die Akademiker in die Berufswelt, in der man händeringend Facharbeiter sucht, einschleusen will, meinte sie ungerührt, dann müsste eben die Universität auf die Berufspraxis vorbereiten.

Nachtrag 27.02.13: Das duale Ausbildungswesen ist zum Exportschlager geworden: Spanien, Schweden, Italien, Brasilien führen es ein. Präsident Obama lobt es. Die deutschen Experten befürchten jetzt, dass es in manchen Ländern zu schnell geht oder die Voraussetzungen nicht vorhanden sind und so das System in Misskredit geraten könne.

Nachtrag 27.3.14: Der Bildungsforscher Rainer Bölling setzt sich kritisch mit den Statistiken der OECD auseinander: „Was sind Bildungsstatistiken der OECD wert?“, FAZ v. 27.3.14, p 6. Oft würden Äpfel mit Birnen verglichen. Der amerikanische Highschoolabschluss wurde fünzig Jahre lang z. B. mit dem deutschen Abitur verglichen.  Wenn in einem Land Krankenschwestern studieren müssten, in einem anderen nicht, falle die Studierendenquote unterschiedlich aus. Während sich in Deutschland die Abiturientenquote in den vergangenen fünfzig Jahren verzehnfacht habe, sei die Quote der Hochqualifizierten (Studien- oder Meisterabschluss ) in Deutschland laut den OECD kaum gestiegen.

Über die Qualität der Bildung sagen die Zahlen der Abschlüsse nichts aus, das geben die Bildungsfachleute der OECD selbst zu.  Das Hauptproblem scheint die Klassifizierung zu sein.

Dass man den Zahlen nicht zu vile Vertrauen schenken dürfe, wurde laut Bölling schon 1961, zu Beginn der OECD-Bildungsforschung gesagt.

Ist die empirische Bildungsforschung eine Königsdisziplin?

Der Wiener Erziehungswissenschaftler Henning Schluß singt das Hohelied der empirischen Bildungsforschung. Er lässt nicht gelten, dass PISA ökonomischen Interessen gehorche und Wissen gegenüber Kompetenzen vernachlässige.

Die empirische Bildungsforschung hätte die Allgemeine Pädagogik und Erziehungswissenschaft „vom Thron verstoßen“. Zehn Jahre PISA-Messungen hätten zu tiefgreifenden Bildungsreformen in Deutschland geführt. Kritik am Bildungssystem sei zentral für die empirische Bildungsforschung und nicht mehr für die Allgemeine Pädagogik.

Was mich wundert:

Bis vor 10 Jahren hielt die deutsche empirische Bildungsforschung anscheinend einen Dornröschenschlaf, dann wurde sie von der OECD wach geküsst. Die Empiriker betonen ständig, dass sie nur messen würden. Sie könnten nicht sagen, was richtig oder falsch wäre. In Deutschland wurden schon vor PISA und werden seitdem immer mehr Millionen für Schul- und Unterrichtsprojekte ausgegeben, ohne dass die Bildungsforschung sagen könnte, was nützt und was nicht.

„Tiefgreifende Bildungsreformen“ in der Schule vermag ich nicht zu erkennen. Vielleicht meint er den Umbau der Lehrpläne von Wissens- zu Komptenzorientierung? Oder das Turbogymnasium? Politik und empirische Bildungsforschung stimmen ja überein, dass die Schulstrukturen nicht ausschlaggebend sind. (Wenn man von PISA-Koordinator Schleicher absieht.)

Originell ist es, Heinz Joachim Heydorn als Kronzeugen für die Richtigkeit des von der PISA-Industrie definierten Bildungskonzepts zu benennen. Heydorn betonte das Subversive an Bildung: Die Fürsten, die ihren Untertanen lesen und schreiben beibrachten, damit sie die Gebrauchsanweisungen für Düngemittel lesen konnten, sorgten dadurch auch dafür, dass die Untertanen Flugblätter lesen konnten, die zum Aufstand gegen die Fürsten aufriefen.

Zum krönenden Abschluss wirft Prof. Schluß den Bildungstheoretikern vor, den Zusammenhang von Herkunft und Bildungserfolg als naturgegeben anzusehen. Sicher gibt es Bildungsphilosophen, die Sarrazin Recht geben. Aber was tut die neue pädagogische Königsdiziplin dagegen?

In Australien haben Wissenschaftler einmal eine Sekundäranalyse an ca. 1000 Studien der empirischen Bildungsforschung vorgenommen. Ergebnis: Der Einfluss des Elternhauses ist der wesentlichste, größte und eindeutig messbare Faktor, der sich auf den Schulerfolg auswirkt. Bei keinem anderen Faktor kann schlüssig ein überzeugender Zusammenhang nachgewiesen werden. Ist die empirische Bildungsforschung da einen Schritt weiter als die vom Verfasser kritisierten Erziehungswissenschaftler, die angeblich alle Milieutheorien oder Vererbungslehren anhingen?

Das US-amerikanische „Headstart“-Programm der Frühförderung benachteiligter Kinder wird von empirischen Bildungsforschern begleitet. Ihre Befunde widersprechen sich teilweise. Es ist sehr schwer herauszukriegen, was nützt und was nicht.

Vielleicht sollten sich die neuen Königinnen und Könige der Erziehungswissenschaft mehr um die Eltern als um die Schule kümmern.