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dbv schreibt Kommission „Bibliothek und Schule“ neu aus

Dem dbv ist hoch anzurechnen, dass er die Schulbibliothekskommission des abgewickelten Deutschen Bibliotheksinstituts (dbi) in – allerdings veränderter – Form weitergeführt hat. Das Wort Schulbibliothek kommt im Titel leider nicht mehr vor: „dbv-Kommission Bibliothek und Schule“.

(Die LAG Hessen hatte sich damals, ich glaube, das war  vor ca. 15 Jahren, an die Kultusministerkonferenz gewandt mit der Bitte, die dbi-Kommission weiterzuführen. Das scheiterte [erst] auf der Präsidentenebene.)

Bei den in den letzten Jahren in das Gremium eingezogenen Mitgliedern ist das Bemühen erkennbar, frischen Wind in die Schulbibliotheksthematik zu bringen. Dazu gehört nicht zuletzt die Aufforderung an andere Verbände (AGSBB, LAG Hessen, LAG NRW), Mitglieder zur Bewerbung für die dbv-Kommission zu motivieren. Weiterlesen

Die Ambivalenz der Zusammenarbeit von Bibliothek und Schule

Es ist ermüdend, ständig darüber zu schreiben. Aber was bleibt einem übrig, wenn die Ansicht, dass mit der Zusammenarbeit von Bibliothek und Schule das Problem Schulbibliothek gelöst sei, gebetsmühlenhaft erklingt.

Gerade hat die hessische Kultusministerin in einer Landtagsanfrage wie ihre Vorgänger auf die Kooperation verwiesen. Ein CDU-Landtagsabgeordneter erklärt der LAG, dass das Kultusministerium mit der dbv-Kooperationsvereinbarung die Schulbibliotheken fördere und das Land sogar freiwillig, weil unzuständig, mehr tue.

Im 4. Workshop der Leipziger Stadtverwaltung zu einem Schulbibliothekskonzept wird dieser Tage – glücklicherweise eher am Rande – von einer sächsischen Landtagsabgeordneten darauf hingewiesen, dass ihrer Meinung nach Schulbibliotheken nur in Staaten verbreitet sind, in denen es kein nennenswertes öB-wesen gäbe.

Da ich in dieser Runde gebeten worden war, einen kurzen Abriss des Schulbibliothekswesens in Deutschland zu geben und von Modellen der Schulbibliotheksentwicklung in den Bundesländern zu berichten, erwähnte ich  das Gutachten der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung von 1973.

Den Kommunen ging es mit diesem Gutachten eben um dies: Verwaltungsvereinfachung. Schulbibliotheken und öffentliche Bibliotheken sollten zusammengebracht werden. Alles in einer Hand, Kostendämpfung, Einsparung, Synergieeffekte, Vermeiden von Doppelstrukturen.

Das zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Irrungen und Wirrungen im (west-)deutschen Schulbibliothekswesen. Weiterlesen

Kombi-Bibliotheken in Hessen: Ein Jahrtausendprojekt

Das hessische Wissenschaftsministerium zahlt öffentlichen Bibliotheken jährlich Zuschüsse im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs. Dieser besagt, dass die Kommunen einen Teil der dem Land zur Verfügung stehenden Steuereinnahmen erhalten und dass dabei auf einen Ausgleich zwischen finanzstarken und finanzschwachen Kommunen geachtet werden muss.

Vor mir liegt die Pressemitteilung, in der das Wissenschaftsministerium die Verteilung der für öffentliche Bibliotheken gedachten Mittel für 2012 verkündet. 1.250.000 € sind es.

Unterstützung erhalten auch Kommunen im Hochtaunuskreis, an der Bergstraße und im Main-Tunus-Kreis. Finanzstarke Kommunen scheint es in Hessen nicht mehr zu geben. Ich erinnere mich, dass mir – vor Jahrzehnten – gesagt wurde, gefördert würden vor allem kleinere öffentliche Bibliotheken draußen im Lande. In der Liste 2012 stehen auch Großstädte, etwa Frankfurt am Main.

Wer nachforscht, findet auch die Liste der Projekte: Ca. 200.000 € aus diesem Topf dienen der Förderung der Kooperation der öffentlichen Bibliotheken mit Schulen: Die Bibliotheken erweitern ihren Bestand an Lernhilfen und KJL, kaufen Notebooks für Schüler, kaufen für 8.000 €(!) einen WebOPAC. Ein Bibliotheksverbund in Mittelhessen bezahlt mit 24.000 € den Zugang zu der kostenpflichtigen Datenbank Munzinger-Archiv, wo man Biographien, Gedenktage, den Duden und den Brockhaus findet. Das soll von Schulen mitbenutzt werden dürfen. Wohlgemerkt: Bei den Beträgen handelt es sich nur um die Landeszuschüsse!

Es sind, großzügig gerechnet, ca. 15 Unterstützungsfälle, bei denen Schulkooperation genannt wird. Es ist nicht immer eindeutig zu erkennen, wem es nützt. Wie viele Schulen haben einen Nutzen? Weiterlesen

Lügner, Leugner und Verschwörer: Das Internet erschwert den Erwerb von Informationskompetenz

Es ist immer ein Bohren dicker Bretter, wenn in Sozialkunde, Geschichte oder Deutsch verlangt wird, das Wichtige in einem Zeitungsartikel, einem Dokument, einem Essay zu unterstreichen oder gar mit eigenen Worten wiederzugeben. Ein noch dickeres Brett ist, das Interesse hinter dem Zitat oder dem Text zu erkennen. Dass z. B. auf der Webseite der Islamischen Republik Iran eine Islamdefinition steht, die nicht als allgemeingültig betrachtet werden kann. (Nach den – formalen – Evaluationskriterien eines amerikanischen Handbuchs über Informationskompetenzvermittlung im Unterricht galt die Seite als nicht zu beanstanden.) Oder, wenn die Linkspartei die Achtung der Menschenrechte in Kuba für vorbildlich hält, dies nicht mit der Wirklichkeit verwechselt werden darf, sondern als Aussage von Linken erkannt wird.

Mancher Schüler fragt mit Recht, woran er denn erkenne, was wichtig und was unwichtig in dem Text sei? Im Verlauf mehrerer Schuljahre kann man Kategorien vermitteln, die ein wenig helfen. Ich will nicht behaupten, dass Schule und Lehrer durchweg erfolgreich bei der Vermittlung von Kompetenz im Umgang mit Quellen im Referate schreiben sind. Obwohl es seit Jahrzehnten in den Sprachbüchern Kapitel dazu gibt. Ein kompetenzorientierter Unterricht hilft anscheinend auch nicht weiter, wie erste Befunde zeigen.

Seit einigen Jahrzehnten begreifen sich Bibliothekare als Vermittler von Informationskompetenz. Hervorgegangen ist der Begriff aus der library instruction, der Einführung in die Bibliotheksbenutzung, und wurde auf die Informationssuche im Internet ausgeweitet. Er ist gekoppelt mit dem Slogan des „lebenslangen Lernens“ und hat auch eine Schnittstelle zur Bloomschen Taxonomie der Lernziele im kognitiven Bereich. Er beschäftigt Heerscharen von Wissenschaftlern. Sogar Informationskompetenzerwerbs- und -vermittlungsstrategien für den Kindergarten werden modelliert.

Jetzt ist er auch in Deutschland angekommen. Und steht so(gleich) in Bibliotheksgesetzen und in Vereinbarungen der Kultusminister mit dem Deutschen Bibliotheksverband.

Das Wichtigste sind m. E. die ersten Phasen der jeweiligen Modelle des Informationskompetenzerwerbs (IK): Das Erkennen des Informationsbedarfs, die Entwicklung einer Fragehaltung. Wer eine Fragehaltung verinnerlicht hat, wer nicht gleich alles glaubt, was in der Tagesschau, der Bildzeitung, der Treffermeldung steht, hat das Wesentliche des IK begriffen.

Wie unterrichtet man das? Weiterlesen

Die Bürokratie des Bildungswesens überlebt immer

Brandenburg plant, die sechs Schulämter zu einem Landesschulamt zusammenzufassen. Einem Bundesland mit 2,4 Mio. Einwohnern und einem beträchtlichen Anteil am Länderfinanzausgleich stehen Sparen und eine schlanke Verwaltung nicht schlecht an. Sogleich erhebt sich aber Protest. Die Lehrergewerkschaft GEW sieht einen Affront gegenüber den in den Ämtern beschäftigten Schulrät/-innen.

Mit aus hessischen Erfahrungen gespeister Gelassenheit wundert mich das. In Hessen (Wo sich die GEW für die Interessen der Schulräte noch nie ein Bein ausgerissen hat) wurden die Ämter und Verwaltungen im Schulbereich ständig neu strukturiert.

  • Die Zahl der Studienseminare sollte reduziert werden. Einige wurden zu Außenstellen der anderen. Der Koordinationsaufwand stieg, die Leiter/-innen hatten plötzlich zwei Schreibtische und eine Haupt- und eine Außenstelle zu leiten.
  • Die Zahl der Schulämter wurde nahezu halbiert.
  • Das Lehrerfortbildungsinstitut hieß mal HILf, dann HeLP, dann bekamen die Schulämter die Fortbildung zugeschoben.
  • Das HIBS wurde geschlossen, dafür gab es ein IQ und ein AfL.
  • Jetzt soll das IQ geschlossen werden und
  • die nach der letzten Reform verbliebenen 15 Schulämter sollen zu einem Landesschulamt mit mehreren Abteilungen zusammengefasst werden.

Das Tröstliche und für die Brandenburger GEW vielleicht Lehrreiche ist: Die Veränderung ging meist einher mit Planstellenvermehrung und einer Höhergruppierung der Leiterstellen (Für den neuen obersten hessischen Schulaufsichtsbeamten ist B 6 im Gespräch.) Man trifft in den neuen Instituten und Ämtern immer auch die alten Gesichter. Was soll man schon mit Dutzenden von -räten und -direktoren machen, die man erst vor ein paar Jahren bei Gründung des jetzt aufzulösenden Instituts dazu gemacht hat? Nicht alle wollen oder können Schulleiter werden. Gespart wird höchstens bei den Sachbearbeiter/-innen.

Die Nische „Schulbibliotheken“ hat es immer gestreift: Zuerst im HILf, dann im HeLP, dann im AfL, zuletzt mit überregionaler Zuständigkeit in einem regionalen Schulamt. Das bedeutet jedes Mal, ein neues Konzept auszuarbeiten, in der neuen Dienststelle erklären, was man überhaupt macht, ein neues Organigramm zeichnen, eine neue Regelung für Verwaltungs- und Reisekosten aushandeln, ein neuer Kampf um ein Arbeitszimmer oder wenigstens einen Schreibtisch.

Als dann auf Wunsch des Deutschen Bibliotheksverbandes eine Vereinbarung zur Zusammenarbeit von öffentlichen Bibliotheken und Schule getroffen wurde spendierte die politische Ebene des Hauses eine Lehrerstelle (27 Std.). Die hat man, obwohl es im eigenen Haus schon eine Keimzelle „Schulbibliotheken“ gab – an das Wissenschaftsministerium „verliehen“. Das bedingte sogleich eine neue Koordinationseinrichtung: Die beiden Lehrer innerhalb des Geschäftsbereichs des Kultusministeriums, die für Schulbibliotheken tätig waren (EDV, Fortbildung und Beratung) und die beiden Lehrer, die sich 27 Stunden teilen und im Geschäftsbereich des Wissenschaftsministeriums für die Zusammenarbeit von Schule und Bibliothek und für Schulbibliotheken arbeiten sollen, reisen jetzt zweimal im Jahr (zusammen mit einem halben Dutzend Diplom-Bibliothekar/-innen des öB-Wesens) zu einer Sitzung an. Zuerst  einmal mussten da Zuständigkeiten festgelegt und Kompetenzüberschneidungen begradigt werden.

Im Zuge der neuen Sparrunde des Ministeriums, die wieder zu einer Strukturreform bei den Ämtern und Instituten führen, wurde bewusst, dass man vor fünf Jahren etwas mehr als eine Lehrerstelle nach außen gegeben hatte. („Was machen die eigentlich?“)

Wie hätte ein „Arbeitsbereich Schulbibliotheken“ in einem Institut des KM wirken können? Statt zweier „halber“ Lehrer deren vier! Mit einer langjährig gefestigten Zuordnung zu einem Institut im Geschäftsbereich des Ministeriums. Mit der Wahrnehmung, Teil des Schulwesens zu sein, mit Schnittstellen zur Lehreraus- und -fortbildung, zur Schulaufsicht, zu den Referaten Qualitätsentwicklung, Medien, Schulentwicklung, mit einem eindeutigen Auftrag, mit täglicher Kooperation und Koordination der vier Experten, statt zweier gemeinsamer Sitzungen im Jahr.

Schnee von gestern.

Zweiter Kooperationsvertrag in Brandenburg?

Einer Pressemitteilung (zuletzt angesehen am 15.7.) ist zu entnehmen, dass erneut eine Kooperationsvereinbarung zwischen dbv und dem Bildungsministerium unterzeichnet wurde.

Wie schon in dem Vertrag von 2002 ist das Ziel, dass die öffentliche Bibliotheken und Schulen zu „strategischen Partnern“ beim Lesen lernen werden. Von Schulbibliotheken ist im Vertrag von 2002, wie bei derartigen Vereinbarungen zur Kooperation von Bibliothek und Schule fast üblich, nicht die Rede. Aber das Ministerium weist in der Pressemitteilung darauf hin, dass es den Preis „Brandenburger Schulbibliothek des Jahres“ gibt und in 490 von 750 Schulen eine Bibliothek.

Der neue Vertrag ist bisher weder beim dbv noch beim Ministerium online einsehbar. Der erste Vertrag hatte keine messbaren Auswirkungen auf das PISA-Lesekompetenzenergebnis der Brandenburger Schülerinnen und Schüler.

Das Konzept solle im kommenden Schuljahr greifen. Es sähe unter anderem Besuche von Klassen in Bibliotheken und das Organisieren von Leseveranstaltungen in Schulen vor. Wo da jetzt das Neue ist, vermag ich nicht zu erkennen. War die Vereinbarung von 2002 so schlecht, dass sie jetzt erneuert werden muss?

Vielleicht ist das das Neue: „Vor allem Kinder aus bildungsfernen Haushalten machen um die Bibliotheken eher einen Bogen und werden von den Eltern wenig oder gar nicht dazu angeregt, etwas zu lesen. »Wenn sie aber in der Klasse die Bibliothek besuchen, dann können wir sie fangen«, glaubt Cornelia Stabrodt vom Bibliotheksverband.“ (ND v. 4.7.11)

Wiedervorlage 2020?

Update 5.7.: Die Pressestelle des Ministeriums antwortet erst einmal nicht auf meine Anfrage. Aber das „Neue Deutschland“ weiß es genau: Dort wird von Aktualisierung der Vereinbarung von 2002 gesprochen. Das stand nicht in der Pressemitteilung des MBJS. Beim dbv-Landesverband gibt es online weder eine Pressemitteilung noch die Vereinbarung (Stand 5.7.11).

Update 9.7.: Der ND-Journalist antwortet mir, er hätte die Kenntnis aus einer Pressekonferenz der Ministerin. Warum steht das dann nicht in der Pressemitteilung und warum verkündet die Ministerin als Neuheit, was schon in der Vereinbarung von 2002 stand?

Update 13.7.: Im Ministerium wird mir geraten, ich solle doch den dbv nach dem neuen Vertrag fragen!

Update 1.8.: Das Ministerium stellt mir die neue Vereinbarung nun doch zur Verfügung.

Sie ist kürzer: 1,3 statt 3 Seiten. Unterstützungsangebote für die Lehrerfortbildung (Punkt 3.3 im Vertrag von 2002) und die Landesfachstelle f. Archive und öff. Bibliotheken (Punkt 3.4) werden nicht mehr erwähnt.

Jetzt gibt es einen Anhang, ein Formular für Vereinbarungen zwischen Schule und öffentlicher Bibliothek. Die Aufgaben der Schule umfassen 9 Punkte, die der öB 12 Punkte. Auch für Ganztagsschulen wird die Kooperation mit der öB empfohlen. Die Bibliothekar/-innen verpflichten sich zu ständiger Fortbildung, um die besonderen Anforderungen der Kooperation mit der Schule in hoher Qualität erfüllen zu können. Wo sie das tun, ist nicht Gegenstand der Vereinbarung.

Es gilt für mich weiterhin: Viel heiße Luft. Der Zusammenhang zur PISA-Lesekompetenz, der als Begleitmusik immer erwähnt wird, ist naiv.

Auch wenn der dbv erneut, im Gegensatz zu den aktuelleren Beteuerungen seiner Funktionär/-innen die Schulbibliotheken nicht zur Kenntnis nimmt, weiß das MBJS sehr wohl, dass es sie gibt. Das gibt Anlass, optimistisch zu sein.

Noch ein Wort zu den Kooperationsvereinbarungen: Eigentlich müssten die Kommunen diese Vereinbarung unterschreiben. Das Ministerium verweist darauf, dass die Schulen und die Bibliotheken kooperieren. Das Land ist nicht zuständig, das hat mir MP Platzeck schon vor Jahren schreiben lassen. Dem Land kann egal sein, was in dem Kooperationsvertrag steht. Es ist ja nicht zuständig.

Vielleicht hätten die Kommunen solche „Verträge“ auch gar nicht erst abgeschlossen. Es gibt Verwaltungsrechtler, die den Kopf schütteln, wenn zwei nicht bzw. beschränkt rechtsfähige Einrichtungen wie  Schule und Stadtbibliothek Verträge abschließen.

 

„Wo Wikipedia auf Brockhaus trifft“: DIE ZEIT über Schulbibliotheken

Ein erfreulich kompetenter Bericht über Schulbibliotheken in Deutschland erscheint in der ZEIT Nr. 15 v. 8.4.2011, p. 72.

Burkhard Wetekam erwähnt funktionierende Beispiele wie Hamburg nach dem SPD/Grüne-Koalitionsvertrag und Frankfurt/M und kennt die temporäre Schulbibliothek auf der Leipziger Messe. Er nennt Faktoren, die die Entwicklung des Schulbibliothekswesens in Deutschland hemmen. Der modernen Schulbibliothek gibt er im Internetzeitalter durchaus eine Chance.

Schön, dass einmal ganzseitig in einer national verbreiteten Zeitung fundiert berichtet wird. Ich habe den Artikel lieber gelesen als den in der taz vor einem halben Jahr.

Nachtrag: Jetzt ist der Artikel auch online.

2010 war ein gutes Jahr für die Schulbibliotheken

Nicht nur die Bibliotheksausstatter berichten von gestiegener Nachfrage aus den Schulen. Es häufen sich die Meldungen, dass die Schulbibliothek als Ort des Unterrichts entdeckt wird. Manche klingen ganz überrascht, dass das geht und dass es das weltweit schon längst gibt. Es bricht sich auch die Erkenntnis Bahn, dass Schulbibliothek etwas mit Schule zu tun und nicht die Sonderform einer öffentlichen Bibliothek ist.

Mir dämmert die Erkenntnis, dass es manchmal sehr lange dauert, bis sich etwas durchsetzt. In der Schule dauert es ca. 30 Jahre, bis sich etwas durchsetzt. (Ein Kollege in einem Nachbarland meinte, bei ihnen dauere es 100 Jahre.)

Der Hintergrund: Modellversuch „Unterricht in der Bibliothek“ mit Unterstützung des Hessischen Kultusministeriums (KM) 1987-88, BLK-Modellversuchsantrag des KM „Internetnutzung in der Schulbibliothek“ 1997 (vom BMBF abgelehnt)

Nicht zuletzt hat der Dipl. Bibl. Reinhold Heckmann dies auch 1993 aus Australien berichtet.

Wäre schön gewesen, wenn wir schon vor 20 Jahren diese Einstellung gehabt hätten. Dennoch: Willkommen im Club!

Ich freue mich auf 2011!

Freudentänze zur Eröffnung einer Schulbibliothek

Wo hat man das schon mal? In einer Grundschule!

Bei der Gelegenheit: Wenn man Google-News mit dem Stichwort „Schulbibliothek“ durchsucht, kommt man aus dem Staunen  nicht mehr heraus. Deutschland scheint ein Schulbibliotheksparadies zu sein.

Zugegeben, in sehr vielen Nachrichten übergibt der Förderverein ein Buch oder die Schulbibliothek ist Veranstaltungsort für eine Bürgerversammlung oder einen Vortrag über Gesundheitserziehung.

(Das kenne ich: Kaum gibt es die Schulbibliothek, tagt darin der Personalrat, ein Elternabend oder hält eine Kollegin ihre Sprechstunde ab. Weil es der angenehmste und aufgeräumteste Raum der Schule ist. Auch wäre ich vor 20 Jahren nicht auf die Idee gekommen, aller Welt zu verkünden, dass ich in der Kreisbücherei wieder einmal ein Kiste voller Bücher als Blockausleihe geholt habe. Heute ist das ein Staatsakt, zu dessen Behufe ein Vertrag abgeschlossen wird und Schulleiter und Kulturdezernent sich im Blitzlichtgewitter der Regionalpresse die Hand geben.

Auch wenn es demnach nur in der Hälfte der Nachrichten wirklich um die Schulbibliothek geht, gewinnt man den Eindruck, dass jede Woche irgendwo eine neu eröffnet oder grundsaniert wird. Ein paar hübsche Ideen werden so auch publik.

Seit einem Vierteljahrhundert setze ich darauf, dass diese Quantität endlich in eine neue Qualität umschlägt.

Ich finde es nicht falsch, wenn man sieht, dass es weit mehr als die gebetsmühlenhaft behaupteten 10-15% Schulen mit Bibliothek/Mediathek gibt, sondern eher 40 bis 50%. Diesen Skandal finde ich viel schlimmer: In wahrscheinlich 15000 der etwa 35000 öff. Schulen gibt es (überwiegend) ehren- und nebenamtlich geführte Einrichtungen, die ein Schattendasein führen, von der Bildungspolitik i. d. R. negiert werden und eben kaum eine gesetzliche und institutionelle Regelung haben.

Was sollten Bibliothekare über Schulbibliotheken wissen?

Der Berliner Bibliothekswissenschaftler Karsten Schuldt will ein Seminar für angehende Bibliothekare zum Thema „Schulbibliotheken“ halten. Er fragt in der Mailingliste „Schulbibliotheken“ des dbv nach Vorschlägen für den Inhalt.

Leider habe ich die Ursprungsmail von Dr. Schuldt nicht in meiner Mailbox gefunden, obwohl ich Abonnent der dbv-Liste bin. In einer abschließenden Mail schließt er aus den Vorschlägen, die er bekommt, dass den Bibliothekarinnen vor allem am Herzen läge, wenn den Lehrern beigebracht werden würde, wie sie Schulbibliotheken nutzen sollten. Dazu müssten in der Lehrerfortbildung entsprechende Seminare stattfinden.

Schuldt weist die verengte bibliotheksfachliche Sichtweise auf Schulbibliotheken zurück. Auch die Berufung auf den fragwürdigen Lesekompetenzbegriff von PISA. (Man könnte noch ergänzen: Mehrere Bundesländer haben ihre PISA-Lesekompetenzwerte ganz ohne Schulbibliotheken verbessert. Finnland ist Sieger ohne ein nennenswertes Schulbibliothekswesen zu haben. Und: Wenn man die begrenzte Lesekompetenz der PISA-Industrie zu Grunde legt, was hat das dann mit  „klassischer“ Leseförderung zu tun?

Um es als Lehrer ganz deutlich zu sagen: Ich brauche, um Lesekompetenz zu erreichen, keine Schulbibliothek. Wenn eine vorhanden ist, schadet das nicht, sie hat sicherlich sogar einen positiven Effekt. Aber auch dann nicht bloß, weil sie da ist! Bei dem Schüler, der zu Hause kurdisch redet, mit dem Türkischlehrer türkisch und nur vormittags in der Schule deutsch – soweit es den Schulleitern erlaubt ist, darauf zu bestehen – hilft mir eine Schulbibliothek nur begrenzt.)

Ich drehe die Frage „Was sollen Lehrer über Schulbibliotheken wissen“ einmal um: „Was sollen Bibliothekare über Schulbibliotheken wissen?

Mit diesem Reframing tritt ein wesentlicher Faktor für die Rückständigkeit des deutschen Schulbibliothekswesens deutlicher hervor:

Schulbibliotheken werden rein bibliothekarisch definiert und gehören zur Einflusssphäre der bibliothekarischen Verbände.

Die Politik spielt dankbar mit. Die Öffentlichkeit kennt keine Alternativen. Exemplarisch erlebe ich das gerade wieder in Berlin-Brandenburg: Eine Bibliotheksleiterin sagt: „Schulbibliotheken? Die erreichen doch nicht die Qualitätsstandards der Stadtbibliothek. Die Lehrer sollen doch erstmal die Bücherkisten der Stadtbibliothek ausleihen!“ Der Ministerpräsident lässt schreiben: „Die Schulen sollen mit den öffentlichen Bibliotheken zusammenarbeiten. Wir haben extra eine Kooperationsvereinbarung mit dem dbv geschlossen.“ Das Ministerium weist daraufhin, dass die Schüler mehrmals die öffentliche Bibliothek besuchen müssten. Und ist sich sicher, dass dabei kein Unterrichtsausfall entstünde! Eine Bezirkselternvertreterin sagt, dass zuerst einmal die öffentlichen Bibliotheken gefördert werden müssten. Der Landeselternrat ist verwundert, dass er wg. Schulbibliotheken überhaupt angeschrieben wurde.

In Hessen, wo der dbv-Vorsitzende praktischerweise Landtagsabgeordneter ist, werden Anfragen an die Regierung gestellt mit der Überschrift „Schulbibliothek“. Gefragt wird aber nach Zusammenarbeit von Schulen mit öffentlichen Bibliotheken. Das Kultusministerium möge doch berichten. Und die Suggestivfrage, ob nicht IMeNS ein tolles Beispiel für die Kooperation wäre? IMeNS ist ein Beleg für meine These. Die Eigenwerbung lautet: „Die bibliothekarische Lösung für die Schulen“. Eben. Sogar die von IMeNS selbst in Auftrag gegebene Evaluation kommt zu dem Schluss, dass in den Schulen die Segnungen des Projekts (u. a. das Munzinger-Archiv auf dem Kreisserver) auch nach Jahren des medialen Feuerwerks nicht erkannt werden.

Der Landesrechnungshof wurde von der LAG beraten, damit er die Schulbibliotheken nicht länger an der Zahl der Ausleihen misst, wie er das von den öffentlichen kennt.

Die LAG ist wegen der anstehenden Beratungen zur Schulgesetznovelle und zu einem Bibliotheksgesetz dabei, der Politik zu erklären, dass Schulbibliotheken eine pädagogische Einrichtung sind. Schule, also Schüler, Lehrer, Schulaufsicht, Schulverwaltung, Schulpolitik, darf sich nicht von bibliothekarischen Verbänden vorschreiben lassen, was Schulbibliotheken sind („Sonderform“ der öB) und wie man sie nutzt („Spiralcurriculum“).

Niemand will den Bibliothekaren das Thema Schulbibliothek wegnehmen. Sie werden in vielerlei Hinsicht gebraucht. (Die LAG hat schon sehr früh in jedem Landkreis eine Dipl. Bibliothekarin gefordert, die damaligen Mitstreiter aus einer öffentlichen Bibliothek haben die Forderung mehr als verdoppelt, 60 statt 30. Beides war letztlich unrealistisch.)

Schulpolitik und Schulverwaltung müssen den Bibliothekaren aber sagen, was sie haben wollen und nicht nehmen, was sie kriegen.

Die Schulbibliothek kann ihre Möglichkeiten als pädagogische Werkstatt für Veränderung von Unterricht und Verbesserung der Schulqualität – Individualisierung – fächerübergreifendes Lernen – Arbeitstechniken lernen – Informations- und Medienkompetenz erwerben usw. nur dann entfalten, wenn sie in die schulischen Institutionen, Gremien und Curricula integriert ist und tagtäglich genutzt werden kann.

Die LAG war deswegen vergleichsweise „erfolgreich“, weil es eine bescheidene Institutionalisierung im Schulwesen gegeben hat: Ein Schulbibliotheksreferent im KM, „Arbeitsbereich Schulbibliotheken“ im Lehrerfortbildungsinstitut, daraus wurde auf Landesebene der „Fachberater Schulbibliotheken“,  daraus wurde das „Projektbüro Schulbibliotheken“. Vorher gab es noch vorübergehend eine mobile Beratung im Kulturmobil.

Dann gibt es noch die „Servicestelle EDV für Schulbibliotheken“, alles im Geschäftsbereich des Kultusministeriums.

In Rheinland-Pfalz gibt es eine zentrale Kommission, paritätisch von Schul- und Bibliothekarsseite besetzt, unter Vorsitz eines Lehrers. Im hessischen „Forum Schulbibliothek“, das mit dem Kooperationsvertrag auf Wunsch des dbv entstanden war, sitzen seit fünf Jahren mehrmals jährlich ein bis zwei LAG-Vertreter mit sechs, sieben dbv-Vertretern zusammen. Der hessische dbv-Vorsitzende hat den Eindruck gewonnen, dass kaum getagt worden wäre und verlangte von der Landesregierung, den Vertrag mit Leben zu erfüllen.

Zwei Anmerkungen noch: Weiterlesen

Schulbibliotheksreferat des HKM soll auch zukünftig erhalten bleiben

In der LAG Schulbibliotheken machte man sich Sorgen, dass das Schulbibliotheksreferat im Hessischen Kultusministerium im Zuge von organisatorischen Änderungen in naher Zukunft verschwinden könnte. Es war 1992 in Folge der Aufnahme des Schulbibliotheksthemas in den Koalitionsvertrag von Rot-Grün entstanden und ein Baustein der Erfolgsstory des hessischen Schulbibliothekswesens geworden.

Nach Abschluss des Kooperationsvertrages zur „Zusammenarbeit von Bibliothek und Schule“ 2005 ging die bisher in der hessischen Lehrerfortbildung angesiedelte Schulbibliotheksfortbildung an die Hessische Landesbibliothek über. (Was durchaus sinnvoll war, weil die klassische hessische Lehrerfortbildung mitsamt dem Arbeitsbereich Schulbibliotheken im Zuge der Modernisierung des hessischen Bildungswesens aufgelöst wurde. Die Nachfolge des Arbeitsbereichs trat, so könnten man sagen, die Schulbibliotheksberatung in der Hessischen Landesbibliothek an, die u. a. dafür zwei halbe Lehrerstellen vom Ministerium bekam. Leider haben beide Teilzeitabgeordneten nicht Schulbibliotheken als Arbeitsschwerpunkt, sondern Zusammenarbeit von Bibliothek und Schule, insbesondere Leseförderung.

Die Landesbibliothek bestritt anfänglich die Zuständigkeit des ministeriellen „Projektbüros Schulbibliotheken“ für ganz Hessen, ein Streit, der nach einem Machtwort des KM beigelegt wurde.

Die Landesbibliothek möchte natürlich nicht nur die beiden Lehrerstellen behalten, sondern jetzt auch die Kosten ihrer Organisation von Schulbibliotheksfortbildung vom KM bezahlt haben.

Der Schulbibliotheksreferent selbst betonte in einem Grußwort auf dem Schulbibliothekstag 2009 die Bedeutung der Landesbibliothek und des Kooperationsvertrages für das hessische Schulbibliothekswesen. Es sah also alles danach aus, dass seine Tätigkeit entbehrlich werden würde.

Das dem „sicherlich“ nicht so sein wird, hat das Ministerium inzwischen dem Landesvorsitzenden der LAG, Hans Günther Brée, geschrieben.

Update Februar 2012: Einen Nachfolger für den Schulbibliotheksreferenten gibt es nach bisher neun Monaten nicht.

Was die hessischen Schulbibliotheksreferenten bewirkt haben:

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