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Finnlands Lehrer verlassen sich nicht auf Technologie

Die amerikanische Erziehungswissenschaftlerin Diane Ravitch zitiert in ihrem Blog einen Bericht auf politico.com über Finnlands Schulen. Darin wird mit Erstaunen festgestellt, dass Unterrichtstechnologie in den Schulen keine große Rolle spielt. Das wichtigste sei nach wie vor, exzellent ausgebildete Lehrer in die Schulen zu bringen.

In den USA werden Milliarden für digitale Technik – Computer, Notebooks, Tablets, Smartboards – ausgegeben, ohne dass es deswegen zu besseren Testergebnissen kommt. Der finnische Verzicht auf standardisierte Leistungsmessung und der zurückhaltende Umgang mit ICT verunsichert die Amerikaner.

(via @mariajosevitori)
  • Siehe auch hier im Blog!

Nachtrag Juni 2014: Der umstrittene Neurowissenschaftler Manfred Spitzer erwähnt diese US-Studien: In Texas wurden Klassen mit und ohne Laptop verglichen. Die Laptopklassen hatten keinen größeren Bildungserfolg. In Alabama wurden 15.000 Laptops in Brennpunktschulen. Nach drei Jahren wurde das Experiment abgebrochen. Schüler ohne Laptop waren besser.

Laptops allein machen allerdings noch keinen besseren Unterricht, stellt eine Bertelsmannstudie fest. Die Lehrer brauchen Fortbildung, der Support muss sichergestellt sein, die Lehrmethoden müssen sich ändern.

Alles in allem gibt es – wie meist in der empirischen Sozialforschung unterschiedliche, z. T. widersprüchliche Ergebnisse.

Häufig wird konstatiert, dass die Ablenkbarkeit der Schüler durch die Laptops gestiegen sei, da sich mit den Computern eine Vielzahl von „Nebentätigkeiten“ (z. B. Computerspiele, Websurfen) eröffneten. Die Schüler müssten wesentlich mehr als im traditionellen Unterricht motiviert werden, um dem Unterricht aufmerksam zu folgen. Auch der Autoritätsverlust und die mangelnde, insbesondere zeitliche Planbarkeit
des Laptop-Unterrichts von einigen Lehrerinnen und Lehrern negativ bewertet.

 

USA staunen über Finnland

Es stand schon einmal im Basedow1764: In USA beginnt man das eigene Schulsystem kritisch zu sehen und mit dem Ausland zu vergleichen.

Jetzt berichtet der Hechinger Report, eine Einrichtung der New Yorker Columbia Universität, über Finnland, das im Gegensatz zu den USA auf die jährlichen nationalen Tests verzichtet und dennoch stabil einen der vordersten Plätze in den internationalen Vergleichsstests einnimmt, während die USA im Mittelfeld bleiben.

Die US-Bildungskrise ist schlimmer als bislang angenommen

schreibt der „Spiegel“.

Erstmals informiert man sich über Schulsysteme in erfolgreicheren Ländern, wie Finnland und Singapur. Ein wesentlicher Unterschied liegt schon in der Wertschätzung, Ausbildung und Bezahlung der Lehrkräfte stellt eine Pädagogikprofessorin in der „Washington Post“ fest.

Sie berichtet von Tendenzen,  Lehrerausbildung und -fortbildung abzubauen, den Zugang zum Lehrerberuf für jedermann zu öffnen, keine Tarifverhandlungen mehr zuzulassen. Gleichzeitig sollen die entlassen werden, die Schüler/-innen nicht zu besseren Leistungstests führen.

Was US-Amerikanern an Finnland auffällt:

  • Auf gut ausgebildete Lehrer wird viel Wert gelegt. Die Ausbildung ist anspruchsvoll.
  • Es gibt kaum Privatschulen.
  • Es gibt keine Schulinspektion und keine nationalen Tests. (Für manche US-Lehrer wird „teaching to the test“ zum Albtraum.)
  • Es gibt nur wenige, weit formulierte Bildungsstandards.
  • Die Lehrer haben Zeit zum Nachdenken, auch in der Schule! Sie unterrichten nicht 5 Klassen hintereinander.
  • Die Schule beginnt mit 7. In USA mit 6 und davor ist ein zunehmend verschultes Kindergartenjahr.
  • Es gibt wenig Hausaufgaben.
  • Es gibt keine Schulabschlussprüfungen, aber Eingangsprüfungen für Studenten.

aus: http://coopcatalyst.wordpress.com/2011/03/27/the-finland-phenomenon-a-film-about-schools/

Hier geht es zu einem Geschichtstest für amerikanische Schüler/-innen. Das Ergebnis muss ernüchternd gewesen sein. Da haben wohl auch die 90000 Schulbibliotheken nicht richtig helfen können.

Hier ein Artikel der New York Times darüber, dass der Sparkurs die US-Schulbibliotheken besonders hart trifft. Im wesentlichen liegt es daran, dass die Schulleiter vor der Wahl stehen, einen Lehrer, der unterrichtet zu entlassen oder einen school library media specialist, der keine Lücke in die Lehrerversorgung reißt.

Der Vollständigkeit halber hier die Gesetzesvorschrift für Schulbibliothekspersonal im Staat New York

PISA: USA schauen nach Finnland und Singapur

In USA nimmt man zum ersten Mal mit Erstaunen zur Kenntnis, wie sehr die erfolgreichen PISA-Staaten Finnland und Singapur gute Lehrer schätzen und sich das etwas kosten lassen.

Die Entprofessionalisierung des Lehrerberufes  schreitet in USA voran. Es war ja schon immer so, dass US-Lehrer einen Zweit- oder sogar Drittberuf ausübten, um leben zu können, und in den Sommerferien summer-camps leiteten, weil sie in den Ferien nicht weiter beschäftigt wurden. Das hat nicht ab-, sondern zugenommen. Die Obama-Regierung kürzt (auch) Programme der Qualifizierung von Lehrern. In Brennpunktschulen gibt es dann aber Lehrer, die trotz ihres um mindestens ein Drittel niedrigeren Gehaltes als es andere College-Absolventen bekommen, Schülern die Bücher  und Lehrmittel aus eigener Tasche bezahlen.

Im Bildungsbereich sind immer noch die Neo-Cons tonangebend, die die Lehrerausbildung am liebsten ganz abschaffen würden und Menschen danach bezahlen wollen, ob sie Schüler zu guten Rankings bei den nationalen Tests führen.

Endlich einmal auf einer internationalen pädagogischen Konferenz in USA(!) von der Wertschätzung der Lehrer in Finnland zu hören oder darüber informiert zu werden, dass China Millionen in die Lehrerausbildung steckt, dass Singapur Lehrern das Masterstudium bezahlt, die Berufsanfänger wie Mediziner entlohnt und die weitere Spezialisierung zum Curriculumexperten oder Schulleiter fördert, macht US-Erziehungsexperten sprachlos. Sie hoffen, dass man endlich mit dem Lehrer-Bashing aufhört und das (staatliche) Schulwesen einmal ernst nimmt.

Die Kürzungen Obamas im Bildungsbereich erbringen übrigens so viel wie 3 Tage Militäreinsatz in Afghanistan kosten.

Zum Kommentar der US-Pädagogikprofessorin Darling-Hammond.

Am Rande anzumerken:

Auch für die hiesige Diskussion ist nicht uninteressant, dass die asiatischen „PISA-Tiger“ Singapur und Shanghai sich nicht auf Mütter wie Amy Chiang verlassen, sondern in die Lehrerqualifizierung investieren.

Auch die EU will verstärkt und gemeinsam über Lehrerbildung und -ausbildung nachdenken bzw. über das, was im Bolognaprozess davon übriggeblieben ist.

Was in USA am finnischen Schulsystem auffällt (übersetzt aus dem Blog Cooperatice Catalyst):

1. Finnland hat keine alles entscheidenden Testverfahren (high stakes tests)
2. Über die Schule gibt es einen nationalen Konsens
3. Es gibt wenig Privatschulen.
4. Es gibt nicht nur nicht nur keine nationalen standardisierten Tests, es gibt auch keine Schulinspektion. (M. E. gibt es sie. Aber sie wird nicht so hoch gehängt und auch nicht als Ranking veröffentlicht.) Vertrauen in die Lehrer sei die wichtigste Kategorie. Die fühlten sich auch ohne Berichtspflicht verantwortlich.
5. Finnland hat keine dicken Sammlungen von Bildungsstandards. Es gibt breit definierte Standards und die Umsetzung geschieht vor Ort.
6. Die Lehrerausbildung ist anspruchsvoll. Es ist schwierig, Lehrer zu werden.
7. Die Lehrer sind gut ausgebildet, werden sehr unterstützt und haben auch während des Schultages Zeit zu reflektieren.
8. Finnen beginnen die Schule im späteren Lebensalter als wir.
9. Finnische Schüler haben wenig Hausaufgaben.
10. Es gibt berufsvorbereitenden Unterricht in finnischen Schulen (technical education)

PISA und die Schulbibliotheken. Ein Nachruf

Als Lehrer und als Vater weiß ich: Man muss sich öfters wiederholen, wenn es hängen bleiben soll. Einmal sagen reicht nicht.

Hier ein weiteres Mal etwas zu „PISA und die Schulbibliotheken“. Allerdings auch zum  letzten Mal. (Habe ich mir fest vorgenommen.)

Leider hört auf mich keiner. Die Funktionäre des Bibliothekswesens schon gar nicht. Sie bedienen sich pädagogischen Vokabulars, ohne dabei immer den Wesenskern zu treffen. So war das schon beim „Spiralcurriculum“, so ist es bei PISA und bei Ganztagsschulen. Man bedient sich der Wörter, instrumentalisiert die Sache für seine Zwecke.

Das Interesse an Schule und Schulbibliothek hatten die Verbände verloren, als es im Gefolge Pichts und später des Bildungsratsgutachten nichts wurde mit 35000 Planstellen für Bibliothekare in Schulen.

Nun haben die Strategen der Bertelsmann-Stiftung vor einigen Jahren ein neues Drehbuch geschrieben, nach dem die öffentlichen Bibliotheken sich den Schulen als Bildungspartner anbieten sollen und früher oder später folgerichtig am Bildungshaushalt partizipieren sollen. Die Schulbibliothek steht dabei nicht mehr im Mittelpunkt. Daher findet man sie auch nicht oder nur als Beiwerk in Bibliotheksgesetzen und Kooperationsverträgen des dbv e.V. mit Landesregierungen. Für den Ausbau des Schulbibliothekswesens ist das fatal. Der Potsdamer Bibliotheksprofessor Hans Christoph Hobohm fordert denn auch bewundernswert klarsichtig „Schulbibliotheken statt Bibliotheksgesetzen“.

Argumentativ flankiert wird die „Bildungspartnerschaft Bibliothek und Schule“ und, falls unvermeidlich, die Forderung nach Schulbibliotheken, mit PISA. Nun sind Schulbibliotheken kein Topthema der Bildungspolitik. Daher schenkt man der tibetanischen Leier „Wegen PISA mehr Schulbibliotheken“ wenig Aufmerksamkeit. Zum Glück. Denn Sachsen und Thüringen sind bei PISA-E und Ländervergleichsstudie nicht besser geworden, weil sie in Schulbibliotheken investiert hätten. Zwischendurch hatte auch Brandenburg einmal in irgendeiner Untersuchung vorübergehend besser abgeschnitten, auch nicht dank des brandenburgischen Schulbibliothekswesens.

(Die Potsdamer Landesfachstelle glaubte, das Thema Schulbibliothek 2004 mit einer Protokollnotiz beerdigt zu haben. Man war sich mit einem Vertreter des Bildungsministeriums einig, vorrangig in die Kooperation Bibliothek und Schule zu „investieren“ und nicht in neue Schulbibliotheken.)

Südtirol hat vorbildliche Schulbibliotheken und schneidet bei PISA hervorragend ab  – besser sogar als Finnland. Die Wiesbadener Helene-Lange-Schule hatte das beste deutsche PISA-Ergebnis. Die charismatische ehemalige Direktorin Enja Riegel ist eine Gegnerin von Schulbibliotheken. (Sie fand, dass Schüler/innen draußen im Leben lernen sollten, also auch in die öB gehen sollten und nicht in die Schulbibliothek. Wir hatten Glück, dass sie nicht Kultusministerin oder Staatssekretärin wurde, was ihr Ziel war.) Auch die Gesamtschule an meinem früheren Wohnort sagte von sich, sie hätte ein hervorragendes PISA-Ergebnis und der „Focus“ zählte sie einmal zu den 100 besten deutschen Schulen. (Meine Tochter hatte den Schulleiter als Fachlehrer in einem Hauptfach. Nun ja, ein guter Schulleiter muss ja nicht auch ein guter Lehrer sein.) Auch diese Schule, als einzige im Landkreis, hatte keine Schulbibliothek. Erst jetzt, seit sie auf dem Weg zum Gymnasium ein gutes Stück weitergekommen ist, hat sie eine Oberstufenarbeitsbücherei – eben nur für Oberstufenschüler.

In Südtirol gibt es einige andere Faktoren, die sehr plausibel sind (soziokulturell, vor allem sprachlich homogene Bevölkerungsstruktur). Was meiner Bewunderung für das Schulbibliothekswesen im deutschsprachigen Südtirol keinen Abbruch tut.

Eine Erklärung für das gute Abschneiden gibt Rudolf Meraner vom Pädagogischen Institut Bozen: Die Lehrer würden von Anfang an mit einer heterogenen Gruppe von Schülern konfrontiert. Es sei kaum möglich, Schüler abzuschieben. Die Lehrer müssten mit allen Kindern arbeiten. Dies sei ein entscheidender Punkt, da die Lehrer herausfinden müssten, welche Lern-Settings sie anwenden, um weder zu über- noch zu unterfordern. (Quelle: „Der Standard„, Wien)

Im Falle Finnlands hat es sich wohl herumgesprochen, dass es keineswegs ein flächendeckendes hervorragendes Schulbibliothekswesen gibt, wenn auch gute öffentliche Bibliotheken. Dass ihre Schulen so gut bei PISA abschneiden, verwundert die Finnen. Wer es kann, schickt seine Kinder auf die deutsche Schule in Helsinki, die nach deutschen Lehrplänen unterrichtet und das deutsche Abitur vergibt.

Shanghai liegt in China und China gibt vergleichsweise sehr viel Geld für Lehrerbildung aus.

In Südkorea liefern Eltern manchmal die Hälfte ihres Einkommens in den 70000(!) Nachhilfeeinrichtungen ab, weil sie das staatliche Schulwesen für schlecht halten. Das beschränkt sich nicht nur auf die obere Mittelschicht. Südkorea ist nicht nur in Lesekompetenz führend, sondern auch in der Selbstmordrate von Jugendlichen. Die Geburtenrate nimmt ab, weil die jungen Ehepaare die hohen privaten Bildungsausgaben scheuen.

Wenn ich die Ergebnisse der USA-Studien („Colorado“ usw.), die einen Zusammenhang zwischen guten Schulbibliotheken und gutem Abschneiden in nationalen Tests belegen – zitiere, verweisen Kollegen unbeeindruckt auf das Abschneiden der USA bei PISA.

Bei den Erklärungsversuchen für gute Schülerleistungen tappen Forscher/innen und Bildungspolitiker/innen im Dunkeln. Und machen sich teilweise lächerlich. Die einen messen und vergleichen, vergleichen und messen, die anderen starten jeden Monat ein neues bildungspolitisches Projekt. Rührend hier im  Osten: Das angeblich gute Fundament der DDR-Schule für die Erfolge Thüringens und Sachsens anzuführen. Wo liegen eigentlich Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern?

Am überzeugendsten ist der Zusammenhang von Schulerfolg und Elternhaus.

Kurz gesagt, vergesst „PISA und die Schulbibliotheken“! Schulbibliotheken sind auch ohne die ständige Berufung auf PISA berechtigt, richtig und wichtig. Diese Sichtweise sollte man durch geeignete Projekte und Untersuchungen befördern. Man sollte auch nicht vergessen, dass die Definition von Lesekompetenz bei PISA nicht unumstritten ist. Sie umfasst weit weniger als Leseforschung und Lehrpläne darunter verstehen.

Als die Bertelsmann-Stiftung Kultusministerien ihr millionenschweres Projekt „Zusammenarbeit Bibliothek und Schule“ vorstellte und Kooperation statt Kritik erwartete (Zwei Lehrer pro kooperierender Schule sollten regelmäßig – mehrere(?) Jahre – in einer Projektgruppe der Stadtbücherei mitarbeiten), plädierten die Vertreter Sachsens und Hessens vorsichtig für Projekte für Schulbibliotheken.

Das Ergebnis des Projektes: Hochglanzbroschüren, in denen „kreative“ Bibliotheksführungen und -rallyes vorgestellt wurden.

Hat Finnland das DDR-Schulsystem übernommen?

Den Narrativen von der fortschrittlichen DDR ist manchmal schwer beizukommen. Sei es, dass die DDR der zehntstärkste Industriestaat der Welt gewesen sein soll, der beste “antifaschistisch-demokratische” deutsche Staat mit der höchsten sozialen Gerechtigkeit gegenüber Witwen, Behinderten und Rentnern. Man findet jenseits der Web 2.0-Kommentarkriege meist Belege für die Haltlosigkeit dieser Parolen. Wer das feststellt, beleidigt nicht 17 Millionen Deutsche, wie das von der Partei Die Linke. behauptet wird.

Es ist wie mit dem angeblich so hohen Eisengehalt beim Spinat, der auf einer falschen Kommastelle beruht: Die Weltbank hatte die DDR auf Grund eines Rechenfehlers ihrer Statistiker so wirtschaftsstark wie Italien gesehen. Die SED hatte kein Interesse, das von der Weltbank sogleich korrigierte Bild zu verbreiten. Es wird bis heute konserviert und auch mancher rbb-Moderator ist der Meinung, der Ruin der DDR sei von der Treuhandanstalt verursacht.

Auch die  Übernahme des DDR-Schulsytems durch Finnland ist so ein Mythos.

Es gibt kein Dokument, das die Wahrheit oder Unwahrheit eindeutig belegt oder es muss noch danach geforscht werden. Ich will versuchen, ein paar Überlegungen zusammenzustellen.

Aus der Tatsache, dass es Rundreisen von Finnen in der DDR gab, wird geschlossen, dass es so gewesen sein muss, wie die Legende besagt. Nun, ich habe an Gruppenreisen in die DDR teilgenommen, aber nichts übernommen. Ein Automatismus besteht da wohl nicht.

Finnland hatte auf Grund seiner politischen Neutralität diplomatische Beziehungen zur Bundesrepublik und zur DDR. Es bestanden vielfältige, auch kulturelle Kontakte.

In den 60er Jahren gab es in vielen Industriestaaten als Reaktion auf gesellschaftliche Veränderungen und ökonomische Sachzwänge Schulreformen. Gesamtschulen gab und gibt es in USA und in Westeuropa, auch in einigen westdeutschen Bundesländern. Wenn, dann war Finnland von den viel früher in Schweden begonnenen Reformen der Schule und Hochschule beeinflusst.

Margot Honecker, verantwortlich für die Volksbildung, erinnert sich daran, dass die Finnen die Wandzeitungen und das Melden zu Unterrichtsbeginn übernommen hätten. Sie bedauert, dass sie – wohl der Temperaturen wegen – den Fahnenappell nicht übernommen hätten.

Dass der Finnland-Mythos nicht stimmt, bestätigt Rainer Domisch, (west-)deutscher Erziehungsberater im finnischen Zentralamt für Unterrichtswesen. Domisch machte in einem Vortrag vor hessischen Schulleitern, bei dem ich anwesend war, auf den wesentlichen Unterschied aufmerksam: Die finnische Schule ist eine gemeinsame Schule für unterschiedliche Lerner, keine Einheitsschule. Das DDR-Schulsystem ist ein rigides Top-Down-Modell von Schule. Autonomie der einzelnen Schule oder des Lehrers kommen darin nicht vor. Das aber sind Merkmale der finnischen Schule.

Ärgerlich ist, dass der Mythos von der guten DDR-Schule sogar von Erziehungswissenschaftlern für bare Münze genommen wird. Prof. Dr. Olaf Köller, Direktor des Instituts für Qualitätsentwicklung, Berlin, wird in der Zeit mit dem Satz zitiert, die DDR-Schule hätte keinen zurückgelassen. Dies übersieht er: Als Lehrer gab man eher gute Noten, denn bei schlechten wurde man zum Schulleiter zitiert und musste sich rechtfertigen. Die parteiische EOS-Auswahl. Die Exklusion behinderter Schüler/-innen.

Der Spruch “Am deutschen Wesen soll die Welt genesen” gilt nicht zuletzt für DDR-Erziehungswissenschaftler und SED-Kader, die in deutscher Überheblichkeit ihr Schulsystem für das beste in der Welt hielten. Manche Westler (s. o.) sehen das heute noch so.

Hans-Joachim Maaz, Leiter einer psychosomatischen Klinik der Evangelischen Kirche in der DDR, kommt der Realität näher, wenn er schreibt, jedem, der sie durchlaufen hat, habe sie das Rückgrat gebrochen.

Was war mit den Jugendwerkhöfen und dem Arbeitserziehungslager Rüdersdorf, wo aus auffällig gewordenen jungen Menschen, sei es, dass sie die Schule geschwänzt hatten, Westmusik hörten oder mitten in der heftigsten Pubertät waren, lebenslange Hilfsarbeiter gemacht wurden?

Was Integration/Inklusion angeht, auch da hätte die DDR von Finnland lernen können. Das wurde in Ostdeutschland erst nach der “Wende” zum Thema.

Nachtrag 13.4.11: Beim Wiederlesen macht mich die Ignoranz von Prof. Dr. Köller erneut sprachlos. Die geistig Behinderten wurden gar nicht beschult.  Wer verhaltensauffällig war (Die Schwelle war sehr niedrig), kam in die Jugendwerkhöfe. Ich habe mit ostdeutschen Kollegen gesprochen, die es als äußerst angenehm empfinden, dass es seit der “Wende” Förderschulen gibt.

Dafür gab es Eliteschulen, ein echt sozialistischer Gedanke. (Siehe unten!)

Manche unselige Tradition besteht fort und trägt nachträglich zum Mythos von der großartigen DDR-Schule bei: Sachsen hat eine doppelt so hohe Sonderschulquote wie die westlichen Länder. Sonderschüler werden bei PISA nicht getestet. Brandenburg rühmt sich der höchsten Abiturientenquote Deutschlands bei Migranten. Das Land ist, abgesehen von russischen Juden und Vietnamesen, nahezu ausländerfrei. Es sind die Kinder dieser traditionell bildungsorientierten russischen Juden und  Vietnamesen, die dafür sorgen, nicht die Traditionen des DDR-Schulsystems.

Wer wegen des guten Abschneidens von Sachsen und Thüringen beim PISA-Ranking Frau Ministerin Honeckers „Vorarbeit“ lobend erwähnt, muss sich fragen lassen, warum dann nicht auch brandenburgische und mecklenburgische Schüler vergleichbar abschneiden.

Ergänzend noch ein Satz des thüringischen Kultusministers Müller: “Kein Experte der DDR auf internationalem Parkett war Schüler der POS, auch nicht Schüler der EOS (einer Art gymnasialer Oberstufe; Basedow1764). Das waren Schüler der Spezialgymnasien. Nicht zu vergessen, wie wenige Akademiker damals aus einem Jahrgang hervorgingen und wie viele es heute sind. Die Potenziale der Menschen wurden doch gar nicht herausgeholt.” (“Aufarbeitung kann nicht mit Zwang erfolgen”, in: Freies Wort, 25.08.08)

Update 17.10.10: Der Politikchef der Märkischen Allgemeinen Zeitung, Potsdam, Ralf Schuler, hat, beruhend auf seinen eigenen Erfahrungen, über den „Mythos Ostschule“ geschrieben. Er sieht die Schwächen der DDR-Schule, sieht aber im Vergleich zur heutigen Schulsituation Positives im methodisch-didaktischen Bereich. (Was meint er? Den Frontalunterricht?) Was Finnland angeht, sieht er, warum auch immer, die Gemeinschaftsschule nicht als skandi­navisch, sondern von der DDR geprägt, aber ansonsten keine Übernahme des Schul­systems.

Trotz nahezu flächendeckender frühkindlicher Betreuung und Privilegierung von Arbeiter- und Bauernkindern nahm deren Anteil an den Studenten in der DDR übrigens ab. Man stellte fest, dass an der Uni über kurz oder lang die Akademikerkinder wieder fast unter sich waren. Das konnte anscheinend nicht nur daran liegen, dass die Kinder von studierten Arbeitern und Bauern ja selbst keine Arbeiter und Bauern mehr waren, wenn sie die Hochschule besuchten. Die SED hat daher zum Ende ihrer Herrschaft nach genetischen Einflussfaktoren für Intelligenz gesucht. (Wovon sich Sarrazin hat inspirieren lassen!)

Am Rande bemerkt: Für Eltern in Helsinki und Umgebung gibt es seit Jahrzehnten nichts Erstrebenswerteres, als ihr Kind auf die Deutsche Schule zu schicken. Dort wird nach westdeutschen Gymnasiallehrplänen unterrichtet.

Weitere Nachträge:

25.6.11: Das neue Heft von “Horch und Guck” hat Schule als Schwerpunktthema! Darunter ist ein sehr lesenswerter Aufsatz von Ines Geipel über die Sportschulen.

14.7.11: Ich entdecke Freya Kliers Buch über die Schule in der DDR: Lüg Vaterland, 1990 erschienen. Man kann es nur empfehlen, auch allen Köllers und Finnland-Mythen pflegenden Ostalgikern in West und Ost.

Wenn die DDR nur von Finnland gelernt hätte!

Ein weiterer wesentlicher Lesetipp zur Schule in der DDR: Ulrike Mietzner, Enteignung der Subjekte – Lehrer und Schüler in der DDR

13.6.12: Dieses Posting wurde 1.300mal angeklickt. Hoffentlich trägt es dazu bei, die Fakten zurechtzurücken. (März 2016 3.000mal)

Auch Hessen hätte von Finnland lernen können. Als Hessen die Schulinspektionen einführte und die Vergleichsarbeiten vermehrte, erzählte ein hochrangiger finnischer Kultusbeamter auf einer Tagung in Wiesbaden, dass Vergleichsarbeiten der Abschluss einer Qualitätsoffensive seien und man die Schulinspektionen gerade zugunsten einer peer-to-peer-Evaluation abgeschaft habe. “Wir fangen aber so an”, beschied ihn der hessische Ministerpräsident Koch.

(peer-to-evaluation: Schulen evaluieren sich gegenseitig.)

16.8.2016:Man sollte bei diesem Thema die Ausgangssituation in der Nachkriegszeit nicht vergessen. Finnland verhielt sich außenpolitisch auf Grund des starken Einflusses des Nachbarn Sowjetunion neutral. In der Folge gab es z. B. für die Bundesrepublik und die DDR jeweils gleich berechtigte Handelsvertretungen und keine westdeutsche Botschaft.

Die starke Präsenz deutscher Sprache und Kultur in Finnland nutzte die DDR für vielfältige kuturpolitische Initiativen im Bereich Kunst, Musik, Theater. Der Versuch, der Bundesrepublik als wahrer Vertreter deutscher Kultur den Rang abzulaufen war aber nicht erfolgreich. Es gab zahlreiche Einladungen für Finnen in die DDR, für Schüler wurden Ferienfreizeiten angeboten.

Die reichere Bundesrepublik konnte an die Vorkriegszeit anknüpfen, sie eröffnete früh wieder die Deutsche Schule und eine deutschsprachige Bibliothek. Die Finnen bevorzugten Stipendien in Westdeutschland, sehr zum Ärger der DDR-Diplomaten. (Nach Olivia Griese, Auswärtige Kulturpolitik und Kalter Krieg. Die Konkurrenz von Bundesrepublik und DDR in Finnland 1945-1973, München 2003)

Der Text wurde am 26.3.16 bei Gelegenheit der Kopie des Beitrags in  meinen Weblog „Ampelmaennchen und Todesschuesse“ sprachlich an einigen wenigen Stellen überarbeitet.

 

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Schulbibliotheken in Finnland

Als die hessische Kultusministerin Wolff aus Finnland zurückkam, war sie auch von den Schulbibliotheken beeindruckt. Für die hessischen Schulbibliotheken hatte das keinerlei Folgen.

Zurzeit sammelt die Kollegin Helen Boelens aus den Niederlanden über die Mailing-Liste von ENSIL, dem Netzwerk europäischer Schulbibliothekar/-innen, Daten zur Situation der Schulbibliotheken in Europa. Eine Mail der Schulleiterin und Vizepräsidentin der finnischen Schulbibliotheksvereinigung Association for School Librarians, Hannele Frantsi, an Helen ist dabei sehr informativ: Weiterlesen