Archiv der Kategorie: Unterricht

Literatur und Medien zu Asyl und Flucht

Der LAG-Vorsitzende Hans Günther Brée hat eine Literaturliste zum Thema zusammengestellt. Jetzt weist er ergänzend auf die Filmliste des Deutschen Kinder- und Jugendfilmzentrums (KJF) hin, die er für sehr brauchbar hält.

Im Augenblick haben derartige Listen Hochkonjunktur. Daher ist es jeweils gut zu wissen, wer die Liste zusammengestellt hat.

Gerne erinnere ich daran, dass es im LAG-Projekt „Die Bibliothek in der Kiste“ vor genau 20 Jahren eine erste Liste und eine an drei Standorten ausleihbare Kiste zum Thema „Heimat und Asyl“ gab.

Das Thema war damals breit gefasst: Über- und Aussiedler aus Ost- und Ostmitteleuropa, dem ehemaligen Ostblock, die deutsche Auswanderung, das Schicksal der Vertriebenen, Fremdenhass in Deutschland, die Arbeitsimmigranten aus der Türkei, Migrationen im Lauf der Geschichte bis zu den vietnamesischen Boat People. Unser „geheimer Lehrplan“ damals war wohl: Migration ist der Normalzustand, Bleiben ist die Ausnahme.

Mittlere oder untere Reife?

Matheaufgaben aus der Prüfung zum Mittleren Schulabschluss (MSA) in Berlin und Brandenburg wären auf dem Niveau des 7. Schuljahres, sagen Spötter. Die Bildungssenatorin sagt, andere Bundesländer machten es genauso. Man wolle keine Denkblockaden bei den Schülern hervorrufen.

Eine der Aufgaben lautet: Welche höchste dreistellige Zahl lässt sich aus den Ziffern 2, 3 und 6 bilden?

Die sogenannte Rechtschreibreform: Das Chaos wurde größer

Manche Sprachbücher gestatteten es, am Ende der Mittelstufe einen Blick auf Reformvorschläge zur Rechtschreibung zu werfen. Im Vordergrund stand, wenn ich mich richtig erinnere, die (gemäßigte) Kleinschreibung. Das war vor ca. 40 Jahren. Was dann zwanzig Jahre später passierte, hat dann eigentlich niemand gewollt: Die Rechtschreibreform. Der Wunsch der vergangenen Jahrzehnte, die Kleinschreibung, fiel als erstes unter den Tisch. Lehrer hatte man nicht an der Reform beteiligt.

Auf einer Fortbildungsveranstaltung erklärte uns einer der Reformpäpste durchaus überzeugend die Verbesserungen, die angestrebt waren. Er gewann uns mit einer Methode, die wir später auch in den Schulen anwandten, um skeptische Schüler – Sprachrohr ihrer Eltern –  zu überzeugen: Wir ließen sie in Rechtschreibfehler der angeblich so viel einfacheren und besseren alten Rechtschreibung tappen. „Schreibe einmal das Wort Nummer an die Tafel!“ „Und jetzt das Verb dazu!“ „Sieh mal an, Du hast ja die neue Rechtschreibung benutzt und nummerieren geschrieben. In der alten Rechtschreibung hätte es numerieren heißen müssen!“

Besagter Rechtschreibpapst, dessen Name mir entfallen ist, meinte zu dem inzwischen eingetretenen Aufweichen der Reform und der Zulassung sowohl alter und neuer Schreibung als Varianten, dass die Kultusminister sich eingeschaltet hätten, als sie merkten, dass die Reform umstritten ist. Viele retteten nun die alte Schreibweise für ein paar Wörter. Natürlich jeder für andere.

Am schlimmsten traf es die Lehrer. Während einige Zeitungen ihre eigenen Wortlisten festlegten, mussten jene die neuen Regeln der amtlichen Rechtschreibung befolgen. Da gab es dann die Übergangsphase, in der die alte Rechtschreibung noch akzeptiert wurde, aber am Rande des Aufsatzes die Schreibweise in der neuen Rechtschreibung eingetragen wurde. Das bedeutete, dass man die neuen Regeln büffeln musste. Vor allem an der Getrennt- und Zusammenschreibung biss ich mir die Zähne aus. Hieß es nun, der Gefangene wurde freigelassen oder frei gelassen? Die bewährte Methode, es durch die Betonung herauszufinden, galt nicht mehr, es sollte konsequent frei lassen geschrieben werden. Dann, im Zuge der Zulassung von Varianten, konnte der Gefangene sowohl frei gelassen als auch freigelassen werden. (Die Duden-Redaktion ist nicht ganz unschuldig an der Variantenvielfalt; sie hat mehrfach die alte Rechtschreibung als Variante zugelassen.) Zu Beginn der Reform hatte ich mir gemerkt: zu packen gehört konsequenterweise das Packet. Dass ausgerechnet das Wort, das ich mir gemerkt hatte, dann doch unverändert blieb, erfuhr ich erst spät.

Und heute? Ich fand mich vor der Reform als ziemlich rechtschreibsicher. Heute stelle ich fest, dass ich bei ß/ss unsicherer als zu Beginn der Reform geworden bin. Bei Getrennt- und Zusammenschreibung schreibe ich, wie es mir sinnvoll erscheint, ich muss ja keine Klausuren mehr korrigieren. (Von gelegentlichem Lesen von akademischen Prüfungsarbeiten abgesehen. Aber das wäre ein neues Thema.)

Update: Uwe Grund wertet in seinem Buch „Orthographische Regelwerke im Praxistest. Schulische Rechtschreibleistungen vor und nach der Rechtschreibreform„Studien und Leisstungsvergleichsarbeiten aus und kommt zum Ergebnis, dass sich die Fehlerquote gegenüber der Zeit vor der Reform 1996 vervielfacht habe. von Vereinfachung könne schon gar keine Rede sein. (via FAZ v. 10.8.16, p 8)

Nebenbei belegt er auch, was nicht neu ist, dass Schüler in der DDR keineswegs bessere Rechtschreibkenntnisse hatten

 

Multimediale Webseite DKfindout! für Schüler

Der Verlag Dorling Kindersley (DK) hat seine multimediale Webseite DKfindout! für Schüler etwa bis Klasse 6 überarbeitet. Wer die üppig mit Zeichnungen und Fotos ausgestatteten Sachbücher des Verlags kennt, wird ahnen, was kommt. Es geht um Themen der Naturwissenschaften, der Mathematik und Technik, der Geschichte und der Geographie. Es gibt Video, Audio und natürlich die tollen Zeichnungen und Fotos aus den Büchern.

dk

 

Die Schulbibliothek im Schulcurriculum

Dieses Posting verdanke ich einem Gespräch mit Dr. Markus Fritz, der für das Südtiroler Schulbibliothekswesen zuständig ist. Es ging um Bibliothekscurricula, d. h. die Schulbibliothek ist mit ihren spezifischen Möglichkeiten ein fester Bestandteil der Fachcurricula. Sie wird darin als Lernort für bestimmte Themen und bestimmte Methoden (Kompetenzen) von der Fachkonferenz verbindlich festgelegt.

Vorweg, um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht nicht um bibliothekskundliche Spiralcurricula, d. h. über die Schuljahre verteilte Bausteine der Bibliothekseinführungen und -rallyes. Das Wissen über Bibliotheken wird so angebahnt und gefestigt, ein Referat oder eine Facharbeit sollen beim Bibliotheksbesuch erarbeitet werden. (Zitat aus einem Posting von 2008)

Es geht schlicht und einfach um Unterricht in der Schulbibliothek. Dass in der Schulbibliothek unterrichtet werden kann, scheint in Deutschland immer noch eine exotische Sichtweise zu sein.

Das Gespräch motivierte mich, noch einmal nachzulesen, was ich damals schrieb. Es ging um das Motto des 3. Hessischen Schulbibliothekstages 1988: „Unterricht in der Schulbibliothek“. Dort stellte das Team der Friedrich-Ebert-Schule in Schwalbach a.Ts. den vom Hessischen Kultusministerium unterstützten (kleinen) Modellversuch  “Unterricht in der Bibliothek” vor.

Eines der damaligen Vorhaben war es, Bausteine für ein Bibliothekscurriculum zu entwerfen. Ich habe die damalige Folie 2008 etwas aktualisiert (Webquest, Projektprüfungen). Da sie längst nicht alles erfasst, was 1988/89 lief, und das Projekt nicht fortgeführt wurde, bin ich sicher, dass es inzwischen anderswo umfangreichere Fundstellen gibt. Bitte öffentlich machen!

Ich bin gespannt, wie in einer Zeit, in der der Lehrstoff, der Content, nicht mehr im Mittelpunkt steht, sondern Mittel zur Vermittlung von Kompetenzen ist, ein Bibliothekscurriculum aussehen müsste.

Mit dem Gespräch mit Markus Fritz schließt sich ein Kreis. Ich hatte schon damals im Basedow1764 darauf hingewiesen, dass man viele Anregungen für Unterricht in der Bibliothek in Südtirol erhalten kann. Jetzt erfahre ich, dass dort Lehrerkollegien zusammen mit Schulbibliothekaren Bibliothekscurricula erarbeiten.

 

 

 

Überwältigungsverbot

Gerade habe ich in einem Beitrag auf meinem Blog zur DDR-Aufarbeitung „Ampelmännchen und Todesschüsse“ über die Anwendung eines westdeutschen politikdidaktischen Grundsatzes auf die Behandlung der untergegangenen DDR im Brandenburger Schulunterricht gestaunt, dem „Überwältigungsverbot“: Wer über die SED-Diktatur unterrichtet, soll nicht aus der Sicht des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates auf die DDR herunterblicken oder gar die Schüler für dessen Werte einzunehmen versuchen. Damit würde er sie überwältigen. Der Unterricht müsse ausgewogen sein, quasi (so verstehe ich es) pro und contra Wahlfälschungen und Ausreiseverbote.

(Wen es interessiert: hier!)

Jetzt lese ich von einem noch viel folgenreicheren Überwältigungsverbot, das die Berliner Schriftstellerin Katja Oskamp in Schule und Hochschule heraufziehen sieht. Sie schreibt in der Schweizer Weltwoche, Nr. 5/2016: „Erlebnisorientierte Langeweile“, zu den Trends im Pädagogikstudium, nach Berichten ihrer Freundin Anne, einer Lehramtsstudierenden:

„Über dem gesamten Pädagogikstudium … schwebt ein riesengroßes Verbot, es gibt kein Seminar, in dem Anne es nicht zu hören bekommt: Es heißt „Überwältigungsverbot“: Auf keinen Fall darf der Lernbegleiter (gemeint sind Lehrer) die SuS (Kürzel für Schülerinnen und Schüler, das auch mündlich verwendet wird) seine Bildung und Erfahrung vermitteln. Er darf niemals aus seiner Perspektive Dinge erklären, niemals einem Kind seinen Blickwinkel aufpfropfen, niemals sein Wissen heraushängen lassen. Denn ein Lehrer, der zeigt, dass er mehr weiß als die Schüler, überwältigt sie. Dadurch würde ein fürchterliches Hierarchiegefälle entstehen.“

Außerdem spießt sie die neueren Moden des Schulunterrichts auf, die sie durch das Schulschicksal ihrer Tochter zwangsläufig miterlebt: Viel Methoden- und Kompetenztraining, viel Mindmap und Powerpoint, Bewerbungsmappen schreiben, viel Projektwochen und Gruppenarbeit, Feedback zur Gruppenarbeit, Feedback zum Feedback zur Gruppenarbeit und noch viel mehr.

Auch wenn manches von Frau Oskamp berichtete Lehrerverhalten ein Einzelfall sein mag und die Schilderung durch Fokussierung auf die genannten Unterrichtshemen einseitig sein mag und die Erzählungen von Tochter und Freundin keine wissenschaftlichen Studien sind, so beschleicht einen doch die diffuse Ahnung, dass in Schule und Hochschule nichts mehr so bleiben könnte, wie es einmal war.

Die Weltwoche macht die Kostenlos-Kultur des Internets nicht mit, daher kein Link. Sondern ein Zitat, mit dem ich hoffentlich kein Urheberrecht verletze.

Open Educational Resources: eine neue Pfründe?

Die Begeisterungswelle der US-amerikanischen Netzgemeinde schwappt jetzt auch auf Deutschland über: OER, Open Educational Resources, frei zugängliche digitale Lehr- und Lernmaterialien, sind der neue Hype.

Es geht um barrierefreien, urheberrechtsfreien, nicht proprietär geschützten, kostenlosen Zugang zu Lehr- und Lernmaterialien, vom Arbeitsblatt über Lehrbücher bis zu Lehrvideos, für alle Menschen, unabhängig von ihrem sozialen Status.

Da gibt es schon einiges und der Bestand wächst: Landesbildungsserver, Bundesbildungsserver, Lehrer-Online, Datenbanken auf den Webseiten der Ministerien und der Universitäten, Clixoom, 100 Sekunden Physik. OpenUniversity. (Letztere nur als Beispiele für unzählige OER-Seiten.

Nicht zuletzt ZUM.de, die es seit 20 Jahren gibt!!! Und das jüngere 4teachers der 4teachers GmbH.
Dieser Wildwuchs muss kuratiert werden, wie man heute sagt: Eine Super-Suchmaschine muss her, die alle Angebote erfasst, die Angebote müssen in einem einheitlichen Metadatensystem katalogisiert werden.

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Wissensplattform „Erde und Umwelt“

Gestern war ich bei einer Auftakt-Veranstaltung für die Restaurierung eines wissenschaftshistorisch bedeutsamen Bauwerks auf dem Potsdamer Telegrafenberg. Der Telegrafenberg beherbergt seit 120 Jahren eine einzigartige Ansammlung wissenschaftlicher Institute. Heute sind das u. a. das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, das GeoForschungsZentrum, das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung.

Historisch bedeutsam in diesem Wissenschaftspark sind

der Einsteinturm

der Große Refraktor und

der Helmert-Turm (Foto), ein astronomisch-geodätischer Beobachtungsturm. Der soll in den nächsten Jahren restauriert werden.

 

Foto: Wikimedia Commons

 

Bei dieser Gelegenheit stieß ich auf ein interessantes Wissenschaftsportal, die Wissensplattform „Erde und Umwelt“.

www.eskp.de

Dort werden die geophysikalischen Hintergründe zu Tektonik, Klima und Klimawandel gegeben. Erörtert werden auch Maßnahmen zum Katastrophenschutz und zur Frühwarnung von Naturkatastrophen. Man kann nach Karten, Infographiken und Artikeln suchen. Dokumentiert werden aktuelle Wissenschaftsergebnisse.

Die Plattform ist für die gesamte Öffentlichkeit, nicht nur für Schulen konzipiert.

 

Evidenzbasierte Bildungsforschung

Den Begriff hörte ich zum ersten Mal auf der letztjährigen IASL-Tagung in Maastricht. Prof. Ross Todd berichtete aus zehn(?) Jahren evidenzbasierter Schulbibliotheksforschung.

Wenn ich es richtig verstanden habe, war die Forschungsstrategie, zu schauen, was in  amerikanischen Schulbibliotheken geschieht und das, was wirksam und erfolgreich ist, zu beschreiben und weiterzugeben. Aber was war herausgekommen? Mein Notizblock blieb ziemlich leer.

Zu Hause habe ich mich dann über den Begriff, den ich mir von Evidenz ableitete, nachgelesen. Er stammt aus der Medizin. Dort soll durch klinische Studien herausgefunden werden, welche Medikamente und Therapien erfolgreich sind. Der Duden sagt: „auf der Basis empirisch zusammengetragener und bewerteter wissenschaftlicher Erkenntnisse erfolgend“

Jetzt, einige Monate später, finde ich eine vernichtende Analyse der Übertragung dieses Ansatzes auf die Pädagogik:

Jornitz, Sieglinde, Evidenzbasierte Bildungsforschung, Pädagogische Korrespondenz (2009) 40, S. 68-75

Frau Jornitz nennt als Beispiel für evidenzbasierte Bildungsforschung die Hattie-Studie. Es würden zueinander passende, sich also nicht widersprechende Ergebnisse von Einzelstudien zusammengefasst und ausgewertet.

So kam es bei Hattie zu der Aussage, dass der Lehrer der Faktor ist, der mit 30% am deutlichsten zum Lernerfolg von Schülern beitrüge. Herausgekommen war, dass gute Lehrer besseren Unterricht planen und auch situativ die richtigen Entscheidungen treffen. Aber wie sie das machen, sei auch nach Hatties riesiger Sekundäranalyse tausender Einzelstudien nicht klar. Was im Unterricht geschähe, bleibe unklar. Evidenzbasierte Forschung sei normativ und erkläre nichts.

Ich war damals angetan vom Ergebnis der Hattie-Studie: Es kommt auf den Lehrer an! Das war für mich in der Tat, völlig unwissenschaftlich, einfach evident. Ich fand es gut, dass jetzt auch Wissenschaftler dies mit wissenschaftlichen Methoden belegt hatten. Deswegen hat es mich später nicht weiter interessiert, dass Statistiker herausfanden, dass Hattie und sein Team statistische und methodische Fehler gemacht hätten. (Ich hatte das aber im Posting nachgetragen.)

Frau Jornitz hat eine Reihe forschungsmethodischer Einwände gegen das Konzept, vor allem aber erkenntnistheoretische: Lässt sich ein medizinisches Konzept auf die Pädagogik übertragen? Für einen praktizierenden Arzt mag standardisiertes Wissen hilfreich sein. Für die komplexe und heterogene Interaktion zwischen Lehrer, Schüler und Eltern reiche das wohl nicht aus. Muss Evidentes überhaupt erforscht werden? Was wird überhaupt noch erforscht, wenn es vor allem um Meta-Analysen von Einzelstudien gehe, die man nicht mehr hinterfrage? Sei man noch an neuen Forschungsergebnissen interessiert? Lohnte es sich noch bzw. sei es forschungspolitisch noch zulässig, auf andere Weise zu forschen?