Schlagwort-Archive: Urheberrecht

Kostenlose Fachbücher?

Der Literaturwissenschaftler Roland Reuß ist gegen die Einschränkung oder gar Abschaffung des Urheberrechts und gegen den Publikationszwang auf Open-Access-Plattformen von Wissenschaftsorganisationen und Bibliotheken.

Am Beispiel des Lehrbuchs „Einführung in die Geschichte“ beschreibt er, was passiert, wenn eine Bibliothek ein Standardwerk für Geschichtsstudenten digitalisiert und Studenten sich die Datei auf ihren Stick laden können.

Besonders bedauerlich findet er, dass die höchstrichterliche deutsche Rechtsprechung dies erlaubt.

BGH-Urteil zum Digitalisieren als Vorbild für die hessischen LMF-Sammlungen?

Der Bundesgerichtshof hat ein Urteil des Frankfurter Landgerichts aufgehoben, in dem auf Antrag des geschädigten Verlages der UB Darmstadt untersagt wurde, Lehrbücher zu digitalisieren und physische und digitale Kopien zu erlauben. Eine Unterscheidung von Download eines Teils oder in toto scheint das Gericht nicht zu machen.

Wäre das nicht auch eine Idee für die Novellierung des hessischen GULE, des Gesetzes über Unterrichtsgeldfreiheit, Lernmittelfreiheit und Erziehungsbeihilfen? Das Gesetz schreibt vor, dass der Staat die Schulbücher kostenlos zur Verfügung stellt. M. W. gibt das Land dafür 40 Millionen € jährlich aus.

(Eine Abschweifung sei erlaubt: Das Ministerium schätzt eine Schwundquote von 10% pro Schuljahr. Seit mit der auf Vorschlag der LAG Schulbibliotheken in Hessen e.V. eingeführten Software LITTERA auch die Ausleihe der Schulbücher organisiert wird, dürfte sich die Schwundquote mindestens halbiert haben. Als die LAG vorschlug, die so gesparten Millionen in Schulbibliotheken zu stecken, hielt man im KM leider gar nichts von der Idee. Man sei für Schulbibliotheken gar nicht zuständig. Dafür gäbe es doch den Kooperationsvertrag zur Zusammenarbeit von öffentlicher Bibliothek und Schulen.)

Zurück zum BGH-Urheberrechtsurteil:  Man könnte analog zur TU Darmstadt verfahren: Die Digitalisate der in den Fächern und Jahrgangsstufen benötigten Lehrbücher werden auf den Landesbildungsserver gestellt. Von dort loaden die Schüler sich das Buch, zum privaten Gebrauch übrigens, down. Sollte für den Schulbereich weiterhin die Kopiereinschränkung „in Teilen“ gelten, holt man sich halt die jeweils benötigten Lehrbuchabschnitte oder lädt das Digitalisat hintereinander in zwei Teilen herunter.

Um eine Überlastung der Rechner des Bildungsservers zu vermeiden, könnten die LMF-Lehrkräfte der Schulen, rechtzeitig von Schuljahresbeginn die Katalogisate für ihre Schule downloaden. Da sie ja im Auftrag der einzelnen Schüler/-innen handeln, sehe ich keinen Verstoß gegen das Gebot der privaten Nutzung.

Vorteilhaft wäre auch, sozusagen als Kollateralnutzen, dass die LMF-Beauftragten der 2.000 hessischen Schulen nicht mehr im bisherigen Umfang vom Unterricht freigestellt werden müssten, was einen Zugewinn von ca. 1.000 unterrichtswirksamen Lehrerstunden (ca. 50 Lehrerstellen) zur Folge hätte.

Digitale Lesegeräte sind im wachsenden Umfang privat und in den Schulen vorhanden. Die neuesten Agenden sehen vor, jeden Schüler mit einem Tablet o. ä. auszustatten. Im Falle von Papierkopien entstünde auch kein Problem. Schüler/-innen können schon jetzt mehr oder weniger geschickt mit einer Flut an Papierkopien umgehen, da kommt es auf ein paar Blätter mehr nicht an.  Man könnte sogar das Einsammeln von Kopiergeld in den Klassen – ein Ärgernis für Eltern, die an Lernmittelfreiheit glauben – einstellen und das Papier aus dem LMF-Etat bezahlen.

Schätzen wir einmal grob, dass bei diesem neuen Modell der Lernmittelfreiheit allenfalls 5 Millionen € für Original-Schulbücher ausgegeben werden müssen (bei der Variante, dass jede Schule ein Original-Exemplar der benötigten sChulbübher pro Fach und Schuljahr kaufen  müsste, bevor es das Digitalisat benutzen darf) und weitere 5 Millionen für den höheren Bedarf an Kopierpapier ausgegeben werden müssen, sparte das Land immer noch 30 Millionen € jährlich.

Woran wäre noch zu denken? Wie viele Arbeitsplätze in Verlagen und Buchhandlungen gingen verloren? Die Branche hat doch sicher weniger als der Automobilbau, also volkswirtschaftlich überschaubar. Der Handel ist sowieso im Wandel. Überhaupt, wozu Verlage? Die Autoren von Schulbüchern sind i. d. R. Schul- und Universitätslehrer. Sie haben sichere Arbeitsplätze und schreiben ihre Werke mit Sicherheit während ihrer Arbeitszeit. Es wäre daher sozial und demokratisch usw., wenn sie ihr in der Dienstzeit entstandenes Werk, das sie sowieso digital verfasst haben – keine Digitalisierungskosten mehr! – gleich auf den Landesbildungsserver stellen würden.

Was passiert mit den eingesparten 30 Millionen? Für die Schulbibliotheken, wofür sonst?

Copyrightfreie Fotos aus historischen Büchern

Fotos aus digitalisierten Büchern waren bisher nicht suchbar. Jetzt hat der US-amerikanische Informationswissenschaftler Kalev H. Leetaru 2,6 Millionen Fotos aus copyrightfreien Bücher erfasst, die zwischen 1500 und 1922 erschienen sind und von der Internet Archive Organization digitalisiert wurden.

(via Joyce Valenza)

Die ETH Zürich stellt ebenfalls mehrere Fotoarchive online zur Verfügung.

Weitere Archive

(via Twitter)

					

US-Großverlage geben doch – probeweise – E-Books an Bibliotheken

MIt den E-Books hat sich die Beziehung von Verlagen und öffentlichen Bibliotheken drastisch geändert. Verlage befürchten Umsatzverluste, da E-Books nicht zerlesen werden können, nicht nachgekauft werden müssen und in Verbundsystemen überall ausgeliehen werden können.

Derzeit werden in USA eine Reihe neuer Geschäftsmodelle erprobt: Bibliotheken zahlen den dreifachen Hardcoverpreis und dürfen 26mal oder sogar 52mal ausleihen, aber schön der Reihe nach, immer nur ein Leser/eine Leserin. Getestet wird auch der E-Book-Verkauf über die Bibliothek. Da wird dann wohl der Buchhandel wohl aufschreien.

Die deutsche Lösung passt zum deutschen Zeitgeist: Der Staat soll´s richten und zu Gunsten der Bibliotheken das Urheberrecht einschränken, verlangt der dbv.

  • Ein anschauliches Gespräch (Transkript) im nichtkommerziellen US-Rundfunkprogramm NPR

Google führt die GEMA vor

und die Crowd lässt sich willig instrumentalisieren. So schreibt Agnes Krumwiede, kulturpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion B90/Grüne, heute in der FAZ.

Erwartet hätte ich diesen Artikel von der Piratenpartei. Aber deren Protagonisten schreiben lieber Reisereportagen oder Bücher, die sie ganz herkömmlich vermarkten.

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Kurzer Weg vom digitalen Lesen zur plagiierten Doktorarbeit

Basedow1764 hat schon ein paar Mal auf kritische Stellungnahmen zum digitalen Lesen hingewiesen: Maryanne Wolf, Manfred Spitzer u. a. Da wird gesagt: Digitales Lesen sei oberflächlich, sei sprunghaft, führe nicht zum vertieften Textverständnis.

Nun hat Philipp Theisson den Bogen bis zur plagiierten Doktorarbeit gespannt: „Literarisches Eigentum. Zur Ethik geistiger Arbeit im digitalen Zeitalter“. Kröner: Stuttgart 2012.

Rezensent Thomas Diel schreibt über das Buch in der FAZ: Texte seien bloße Informationen geworden, kontextfreie Bausteine, die man weiterverwende. Das Verstehen der geistigen Arbeit des Urhebers sei nicht das Ziel. Der laxe Umgang mit dem Urheberrecht habe sich ausgebreitet und eine Konsequenz sei das geringe Unrechtsbewusstsein bei der Übernahme in die eigene Doktorarbeit.

In der literarischen Szene nimmt sich Theisson den Fall Hegemann vor. Hier entdeckt er das Paradox, dass jemand sich in einem „Baukasten“ einzelner Partikel bediene, sie ohne eigenen schöpferischen Zusatz publiziere, aber dann als literarischer Star auf den Marktplatz trete.

Scientific American über Unterschiede zwischen Lesen auf Papier und auf dem Bildschirm
Interessante Leserdiskussion zum digitalen Lesen auf lesen.net  (Nachtrag 1.3.15) Tenor: Die Haptik spielt eine große Rolle beim Lesen und Lernen

Ansichten eines Potsdamer Piraten

Auch in Potsdam gibt es Piraten. Der Schatzmeister des Stadtverbandes wird auf einer ganzen Seite in der Märkischen Allgemeinen interviewt. U. a. gibt er diese Bemerkung von sich: „Was das geistige Eigentum von Autoren, Künstlern angeht: Diese haben durch ihre Ausbildung von der Gesellschaft profitiert. Warum sollte die Gesellschaft nicht von ihnen profitieren?“ Dieses Argument muss ich mal meinem Zahnarzt vortragen!

Wenn die im Piratensprech „Contentproduzenten“ Genannten dann nichts verdienen, greift wohl des „bedingungslose Grundeinkommen“. Oder sollen Künstler reale Piraten werden?

Übrigens plagiiert er: Mit derselben Begründung hatte die SED den Insassen ihres Staates das Verlassen desselben verboten.

An weiteren gruseligen Bemerkungen lässt es das bunte Völkchen der Piratenpartei nicht fehlen. Unverkrampfter Umgang mit der Geschichte gehört immer wieder dazu: Der Gang zur Arbeitsagentur ist für Hartz IV-Empfänger wie der Gang in die Gaskammer: Pirat Sebastian Hochwart fühlt sich als KZ-Opfer.

Böse Krimiautoren und der Geheimdienst mischt auch mit

Die kluge Constanze Kurz insinuiert in der heutigen FAZ, dass Geheimdienste, die den anonymen Hackern schaden wollen, hinter den Drohungen gegen die Autoren steckten. Allerdings hätten die Krimiautoren mit der Aggression angefangen: Sie hätten die Guy-Fawkes-Maske, das Markenzeichen der Hackerbande, für ihre Zwecke missbraucht.
Frau Kurz kennt sich nicht nur in Informatik und Parlamentarismus aus, sondern auch in Geschichte. Dass Guy Fawkes aus Verärgerung über die antikatholische Politik des Königshauses das Parlament mitsamt Regierung und Königsfamilie in die Luft sprengen wollte, wird auch gerne als Projekt der Herrschenden ausgegeben, die den Hass auf den Papst noch steigern wollten.

Hacker-Mafia vs. Content-Mafia

Dass die diejenigen, die in Verlagen arbeiten, diejenigen, die Filme finanzieren oder Orchesteraufnahmen produzieren, mafiös genannt werden, daran haben wir uns gewöhnt.

Dass die Gegner von Urheberrecht und Anhänger der Produktpiraterie die realexistierende Mafia kopieren, ist ein neues Phänomen. Bisher gab es Hass-Tweets, Shitstorms und Angriffe auf Computer, jetzt scheint die Hackerbande „Anonymus“ einen Schritt weiter zu gehen: Als Reaktion auf den Appell „Wir sind die Urheber„, mit dem sich einige Tausend Autoren und Künstler gegen den Diebstahl geistigen Eigentums wehren, haben die Anonymen deren Wohnadressen veröffentlicht. Sie drohten an, weitere persönliche Daten zu veröffentlichen. Sie verteidigen sie sich damit, dass die Wohnadressen ja sowieso öffentlich seien. Warum haben sie sie dann noch einmal veröffentlicht? (Dass alle veröffentlichten Daten – Tel., Fax, E-Mail, Wohnungsadresse – frei zugänglich im Internet stünden, wird von manchen Betroffenen bestritten.)

Neonazis veröffentlichen auch schwarze Listen mit den Wohnadressen ihrer Gegner. Und wenn die Mafia jemandem droht, schickt sie ein Foto von dessen Kind auf dem Schulhof, um jemanden einzuschüchtern. Die Botschaft ist klar: Wir wissen, wo wir Dein Kind kriegen!

Die Botschaft „Wir wissen, wo Du wohnst“ wäre aber keine Drohung, rudert die Pressestelle der Hackerbande zurück. Sätze wie: Wir werden Euch „verfolgen, verfolgen und verfolgen“ sind dann sicher so gemeint wie der berühmte Hundebesitzersatz: „Der will nur spielen.“

Update 25.5.12: Constanze Kurz insinuiert in der heutigen FAZ, dass Geheimdienste, die Anonymus schaden wollen, hinter den Drohungen gegen die Autoren stecken. Allerdings hätten die Krimiautoren mit der Aggression angefangen: Sie hätten die Guy-Fawkes-Maske, das Markenzeichen der Hackerbande für ihre Zwecke missbraucht.

Lesetipps zum Urheberrecht:

  • Ferdinand von Schirach im Spiegel 21/2012, p 130-132
  • Bundesvorstands-Piratin Julia Schramm: Geistiges Eigentum ekelhaft, zitiert in ZEIT online. Ihr Buch – natürlich hat sie ein Buch geschrieben – kann nicht kostenlos heruntergeladen werden.
  • Kommt man dem Kern des Problems näher, wenn man sich die Liste der Abmahnfälle ansieht, zu der Perlentaucher verlinkt? 60% der Fälle betreffen Pornofilme.
  • Auch dies bei Perlentaucher gelesen: (Zitat Perlentaucher:) Endlich mal einer, der die Positionen der Piraten zum Urheberrecht kundig analysiert. Ganz einverstanden damit ist Wolfgang Michal auf Carta allerdings nicht: „Dem Urheber, der unter Umständen jahrelang an einem Werk gearbeitet hat, wird so die Möglichkeit genommen, die Verwertung seiner Arbeitsleistung nach eigenem Gutdünken festzulegen. Es geht ihm wie der Milchkuh, die über die Verwertung ihrer Milch nichts mitzureden hat. (Allerdings bekommt sie Kost und Logis gratis – mithin das Äquivalent des bedingungslosen Grundeinkommens).“
  • Die Entstehung eines Romans: Houwelandt von Jörg Düffel, DVD von Jörg Adolph (Privatnotiz: Das Video von 2005 habe ich entsorgt; also nicht danach suchen!)

Zu Anonymus:

  • Über Anonymus (Andreas Winterer, Blog Hyperland)
  • Der entfesselte Skandal. Gespräch mit Autor Pörksen in dradio