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Hauptschüler – gesellschaftliche Produktion von Verachtung?

Seit den ideologiegesättigten 70er Jahren habe ich kein ähnliches Buch mehr in der Hand gehabt: Der Kulturwissenschaftler Stefan Wellgraf hat für seine Dissertation ethnologische Feldforschung unter Neuköllner Hauptschülern betrieben:

Stefan Wellgraf: „Hauptschüler – Zur gesellschaftlichen Produktion von Verachtung“, transcript Verlag, Bielefeld 2012

Hauptschülerinnen und Hauptschüler werden von allen verachtet: Von den Neuköllner Lehrern, den Personalabteilungen der Berliner Betriebe, von den mittelschichtsozialisierten Gleichaltrigen aus anderen Stadtteilen. Sie sind nur eines: Opfer.

Wellgraf zeigt einer Mittelschichtgymnasiastin das Foto dreier Neuköllner Hauptschüler. Das wären solche, mit denen sie nichts zu tun haben möchte, vor denen sie Angst habe. Eine andere Mittelschichtgymnasiastin findet Steinketten hübscher als die Goldketten Neuköllner Gangmitglieder. Der Kulturwissenschaftler schlussfolgert: „Verachtung“, „Abwertung“, „Verinnerlichung klassenspezifischer Wahrnehmungsmuster„. Der Titel des Buches von Dr. Wellgraf könnte auch lauten: Zur wissenschaftlichen Produktion von Ideologie.

Update: Eine Abweichung vom Opferschema.

Und: Ein ehemaliger französischer Minister für Chancengleichheit, Wissenschaftler und Buchautor, Azouz Begag, Sohn algerischer Immigranten, erzählte einmal, dass seine Mutter ihm gesagt hätte, er hätte es als Ausländer schwer, er müsse besser sein als die französischen Mitschüler. Das war er dann auch.

Was ich gerade lese und sehe

Immer nur Schulbibliotheken?

  • Ich lese gerade Heinz Buschkowsky, Neukölln ist überall.
  • Heute habe ich, weil es mal wieder nichts im TV gab, eine DVD eingelegt, die die Bundeszentrale für politische Bildung verbreitet: Inside Job.

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Karneval der Kulturen, der Mufti von Jerusalem und Hitler

Der Veranstalter des als tolerant gerühmten Berliner „Karnevals der Kulturen“, die Werkstatt der Kulturen in Neukölln, plante eine Ausstellung „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“. Drei Tafeln der Ausstellungsmacher, auf denen es um die Kollaboration des Mufti von Jerusalem mit Hitler geht, sollten aber vor Eröffnung entfernt werden. Die Leiterin der Werkstatt bestritt, dass ihre Maßnahme aus Rücksicht auf die muslimischen Einwohner Neuköllns geschähe.  Sie hält die Informationen für „eurozentriert“ und kritisierte in einem Interview mit der Jerusalem Post, dass man in Israel noch nie der im Zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten aus Afrika gedacht hätte.

Das Ganze zieht seine Kreise. Der grüne Berliner Integrationsbeauftragte findet die Zensur richtig, der sozialdemokratische Neuköllner Bezirksbürgermeister, ein unerschrockener Mann, nicht. Inzwischen wird die Ausstellung unzensiert gezeigt.

Bericht der Jerusalem Post. In Deutschland  berichteten bisher nur der Tagesspiegel und der Blog „Achse des Guten„!

Potsdam nähert sich dem gleichen Problem: Das Haus, in dem Pfarrer Johannes Lepsius gewohnt hat, wird renoviert und bekommt eine Gedenkausstellung. Lepsius hatte über den Massenmord an den Armeniern 1915 berichtet und armenischen Kindern das Leben gerettet.

Funktionäre Berliner türkischer Verbände haben schon gewarnt.

Nachtrag 14.9.:

Die Ausstellung darf jetzt doch gezeigt werden. Man findet sie zwar nicht so leicht und die „Werkstatt“ distanziert sich auf einer Tafel vom Inhalt einiger Infotafeln.