Ein Glücksfall für Informationskompetenzvermittler: Joachim Gauck und die Medien

Die social media und die media überhaupt sind ein hervorragendes Biotop für Bauernfänger und guerilla marketing. Schorlemmer und weitere evangelische ex DDR-Pfarrer, der Tagesspiegel, die taz, Ströbele, die Vereinigung der Stalinismusopfer und tutti quanti verkünden ihre Vorabverdikte über Joachim Gauck. Gegen Hartz 4, für Sarrazin, für Vorratsdatenspeicherung, gegen occupy wäre er. Mit der Rostocker Stasi hätte er  vertrauensvoll zusammengearbeitet und ein richtiger Bürgerechtler wäre er auch nicht gewesen, sagen der Linksparteipolitiker Bartsch, der 1989 in Moskau seinen Doktor machte, und die richtigen Bürgerrechtler. Und vor allem, er rede dauernd und ausschließlich über Freiheit.

Ich nutze bei solchen Gelegenheiten mein Verständnis von Informationskompetenz als (ehemaliger) Sozialkundelehrer und fordere auf, nachzusehen, was wirklich geschrieben steht oder gesagt wurde. Fast immer gibt es erstaunliche Funde. Sinn entnehmendes Lesen war ja schon bei PISA als Desiderat an deutschen Schulen aufgefallen. Einige aus der Problemgruppe haben den Weg in die Medienberufe gefunden.

Ich fange an, die Unterstellungen zu überprüfen, und stoße auf Sascha Lobo, der mir die Arbeit abgenommen hat. Siehe auch hier. (Es handelt sich zwar um „Cicero“, also für manche scheinbar hart am Rande des Faschistoiden, aber die Zitate sind nachprüfbar.)

Es wäre ein Beispiel für eine Fallanalyse im Sozialkundeunterricht.

Nachträge:

19 Gedanken zu „Ein Glücksfall für Informationskompetenzvermittler: Joachim Gauck und die Medien

  1. Pingback: Lesetipp: Joachim Gauck, Winter im Sommer, Frühling im Herbst | Basedow1764's Weblog

  2. Basedow1764 Autor

    Ausgerechnet DDR-Bürgerrechtler kritisieren, dass Joachim Gauck zu viel von Freiheit rede. Muss ich mein Bild von den Bürgerrechtlern revidieren? Ging es ihnen in erster Linie gar nicht um Freiheit? Sondern um Gleicheit? Womit? Mit dem Lebensstandard ihrer SED-Oberen oder den westdeutschen Konsumenten? Oder ist die Geringschätzung von Freiheit ein deutsches Gen und die Bürgerechtler sind typische Deutsche? Schon in der Nationalhymne steht sie an letzter Stelle.

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  3. Pingback: Guerilla-Marketing der Linkspartei | Ampelmännchen und Todesschüsse

  4. Basedow1764 Autor

    Die Aufmerksamkeit für die Kandidatin Klarsfeld und ihre Verdienste um die Vergangenheitsbewältigung mittels Ohrfeige veranlasst mich zu folgender Überlegung:
    Eine Ohrfeige für den Pg, der Generalmajor der NVA wurde?, für den Waffen-SS-Offizier, der ZK-Miglied war?, für die Volkskammerabgeordneten mit NSDAP-Parteibuch?
    Warum Frau Klarsfeld ehemalige Nazis in der DDR nicht geohrfeigt hat: Die SED sorgte für Logistik, Marketing und Anwalt beim Projekt „Kiesinger ohrfeigen“. Zur Belohnung erhielt sie 2000 DM vom MfS und einen Orden von der SED.

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  5. DonBib

    Jetzt auf Vera Lengsfeld zu verweisen verwundert mich dann doch. Oder sollte dies noch ein Nachtrag sein, wie auch Verteidigungen von Gauck als Fallanalyse herhalten können? Denn eine Argumentation mit Inhalten findet sich auch bei Frau Lengsfeld nicht.
    Ich bin auch gerade noch mal auf die Geschichte um Heym gestoßen, vor seiner Rede als Alterspräsident im Bundestag, ein wahrlich gruseliger Vorgang.
    Ich – es mag inhaltlich nicht richtig sein, aber mein Empfinden ist nun mal so – betrachte es als Glück ohne dominante Dogmen groß geworden zu sein. Hieraus ergeben sich Nachteile – ein enormer moralischer Anspruch – und Vorteile – ein enormer moralischer Anspruch. Mit Gauck als Leiter der dann nach ihm benannten Behörde, gab es in diesem Land kein versöhnen statt spalten, dies ist meine Wahrnehmung. Insofern erklärt sich meine Abneigung, bei der Abwägung aller mir bekannten Fakten. Es ist und bleibt aber neueste und vielen noch nahegehende Geschichte. Die kritische Auseinandersetzung damit ist für alle Seiten schwierig und genau deswegen ist es ein tolles Thema für Bibliotheken und Schulen.

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    1. DonBib

      1. Hass ist als Vokabel völlig unangebracht.
      2. Nicht die Bearbeitung der Akten ist das Problem, die halte ich für völlig richtig und gerechtfertigt, sondern die Form der Bearbeitung durch die Behörde – Stichwort Bundesarchiv.
      3. Aber es ist interessant, dass das offensichtlich gewichtigste „Argument“ das in Diskussionen um Gauck eine Rolle spielt auch von Ihnen angeführt wird: Hass auf die Akten. Das ist so ein bißchen eine andere Variante von Godwin’s law.

  6. Pingback: Lügner, Leugner und Verschwörer: Das Internet erschwert den Erwerb von Informationskompetenz | Basedow1764's Weblog

  7. DonBib

    Ihr letzter Absatz zum „perfekten User“ ist eine dezente aber wunderbare Werbung für einen Blick über den Tellerrand, welchen Namen er auch immer tragen mag (Bibliothek, Schule, Kindergarten, Hochschule etc.) der eigenen Institution. Vielleicht ist es mit der Informationskompetenz wie mit der Demokratie: man kann sie nicht lernen, sondern nur erfahren.

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  8. Basedow1764 Autor

    Gut zu erfahren, dass nicht jeder es sich so einfach macht wie Lobo und Jakubetz. Enttäuscht bin ich vom Deutschlandfunk, wo eine Journalistin die Vorwürfe (Lobpreisung von Sarrazin usw.) nachplappert, anstatt sich auf ihr Interview vorzubereiten und die fraglichen Zitate nachzulesen. Dass Schorlemmer – In seinem Interview bei der MAZ steckt aber auch in jedem Satz eine Ablehnung Gaucks – unzufrieden ist, war zu erwarten. Da hat ein Pfarrer dem anderen die Schau gestohlen. Gauck preist Freiheit und repräsentative Demokratie, während Schorlemmer zu den Bürgerechtlern gehört, die am liebsten eine reformierte Wohlfühl-DDR, subventioniert von der BRD, gehabt hätten.
    Auch ich habe Gauck an der FH Potsdam erlebt. Da war er großartig.

    Ein Positives hat die Kampagne: Es geht eher um Politik und nicht mehr um halbseidene Geschäfte.

    Ein Vorschlag zur Güte: Man sollte das Anhörungsverfahren für die Wahl von Richtern zum Obersten Gerichtshof der USA übernehmen. Da werden die Kandidaten stunden-, bisweilen tagelang öffentlich von einem Senatsausschuss gnadenlos in die Mangel genommen und müssen zu jedem erdenklichen Thema, das einmal justiziabel werden könnte, gründlich Stellung nehmen. (Allerdings geht es auch um Lebenszeitstellungen.)

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    1. Basedow1764 Autor

      Es wird leider nicht die Lösung sein. Ein Beispiel ist die unsägliche Kampagne von Senator Ted Kennedy gegen die Ernennung des farbigen Richters Clarence Thomas. Es wurde recherchiert, ob er Pornographie konsumieren würde und ob er schwarze Pornostars kenne. Die Medien suchten, ob es in seiner Familie rassistische und sexistische Vorfälle gegeben hätte. Zuletzt tauchte eine Mitarbeiterin auf, die er angeblich belästigt hätte. Thomas sprach von „high-tech lynching“ und wurde trotzdem Richter. (Es gab einmal im „New Yorker“ einen Artikel.)

    2. Basedow1764 Autor

      23.3.12
      Henrik Broder bringt´s auf den Punkt:

      „Der Hass, der sich über Gauck entlud, hat mit alten Rechnungen zu tun, die über 20 Jahre unerledigt herumlagen.

      Eine Woche vor der Wahl trat bei Anne Will der letzte Innenminister der DDR, Peter-Michael Diestel, als Kronzeuge gegen Gauck auf. Diestel, das muss man wissen, war für die Vernichtung eines großen Teils der Stasi-Akten verantwortlich und hätte das, was nach dem Zusammenbruch der DDR übrig blieb, auch gerne entsorgt. Gauck hingegen hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Opfer der Staatssicherheit die Möglichkeit bekamen, ihre eigene Geschichte anhand der Akten zu rekonstruieren. Noch heute werden jeden Monat Tausende von Anträgen auf Akteneinsicht gestellt.

      Auch als Präsident wird Gauck wird Gauck dafür sorgen, dass die zweite deutsche Diktatur, die ein Nationalsozialismus mit menschlichem Antlitz war, nicht in Vergessenheit gerät.
      http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/sieg_des_ostens/

  9. DonBib

    Auch Lobo und Cicero haben es sich zu einfach gemacht. Denn in der Beurteilung kann man bei den selben Ansichten bleiben, die Kritik ist dann nur differenzierter. Wer selbst aber Twitter als den heiligen Gral der Information sieht, hat der Grundfehler schon längst begangen. Twitter – deren Nutzer ja nun oft kritisert werden – besitzt 140 Möglichkeiten nacheinander ein Zeichen zu setzen, nicht mehr und nicht weniger. Die vielen Links hätten jedem die Möglichkeit gegeben die Artikel z.B. in der Süddeutschen bereits vor Tagen zu lesen. Bei der ablehnenden Meinung über Gauck kann man dennoch bleiben. Es ist also eher ein Glücksfall für Medienkompetenzvermittler, offensichtlich wird nämlich das Medium noch nicht mal beherrscht, bei der Information sind wir da noch nicht mal gelandet.

    Für mich hängt Herr Gauck leider seit 20 Jahren fest und war bisher nicht fähig sein Weltbild um digitale Medien zu erweitern. Ich durfte selbst Zeuge in der FH Potsdam werden, wie er einen Prof. der FH anpöbelte er wäre dumm, weil er Angst vor Überwachung durch Vorratsdatenspeicherung hätte. Einer der aus meiner Sicht wenigen – ob positiv oder negativ ausgerichteten – Artikel der letzten Tage war ein Interview mit Schorlemmer: http://www.fr-online.de/joachim-gauck-folgt-wulff/wulff-nachfolge–gauck-muss-von-gerechtigkeit-sprechen-,11460760,11676250.html

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  10. Dörte

    Ganz gerne möchte ich an der Stelle nochmal den Text von Patrick Breitenbach hervorheben, der auch bei Lobo erwähnt wird, der für mich jedoch diese Wende in der Diskussion eingeleitet hat. Bis dahin habe ich mir ähnlich wie bei der Wulff-Diskussion einen Filter zum Ausblenden gewünscht.
    Dem gegüber möchte ich dann auch ganz gerne auf den Text von Christoph Kappes hinweisen, der mit Menschen, Medien und Maschinen : Warum die Gefahren der »Filter Bubble« überschätzt werden uns belegen möchte, dass die „Filter Bubble“ auch deutliche Vorteile mit sich bringt, aber eben auch Verantwortung (Informationskompetenz) bedeutet.

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    1. Basedow1764 Autor

      Danke für die Hinweise. Sie führen an den Kern meines Beitrages zurück, nämlich wie man mit dem vor allem durch Internet bewirkten information overload umgeht. (Mir kommt meine Sympathie für Gauck dazwischen, die ich nicht unbedingt in diesem Blog ausbreiten sollte. Obwohl: Er redet oft von Verantwortung. Die wird ja wohl auch bei unserem Thema gebraucht.)

      Für Schule wird es immer schwieriger. Es war vor der Erfindung des Begriffs Informationskompetenz schon schwierig genug, Schüler/-innen beyzubringen, wie man einen Zeitungsartikel versteht, Wichtiges von Unwichtigem unterscheidet, Inhaltsverzeichnisse und Glossare zu benutzen, Texte zu überfliegen, richtig zu zitieren, Referate zu schreiben und vorzutragen. Das wurde auch nicht immer mit Nachdruck oder gar mit Erfolg unterrichtet, auch wenn es inzwischen in allen Schulbüchern und Arbeitheften enthalten ist.
      Dass es Informationswissenschaftler und informationskompetente Bibliothekare besser machen werden, ist, je nach Standpunkt, zu hoffen oder noch zu beweisen.
      Im didaktischen Dreieck gibt es neben Lehrer und Lehrstoff noch die Ecke „Schüler“. Wir überfordern in den Schulen schon manche Kinder, wenn wir selbstständiges Lernen, Neugier, Wochenplan und Projektunterricht verlangen. (Dazu liefen in Kanada interessante Diskussionen.)
      Das Leitbild vom allseits und umfassend kritisch, selbstständig oder im Team recherchierenden User verlangt ebensosehr wie das vom informierten und verantwortungsbewussten, mitgestaltenden Staatsbürger, vorbildlichen Verkehrsteilnehmer, empathischen Erziehungsberechtigten zu viel von der Schule. Weder haben wir der BILD-Zeitung Leser abspenstig gemacht noch dem Trash-TV-Seher. Und mit den Trash-Social-Media wird es nicht anders sein. Schon die West-68er und Margot Honecker mussten begreifen, dass man mit Schule nicht die Gesellschaft ändern kann und auch nur begrenzt die Individuen.

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