Medienkiste DDR (4): Antisemitismus, Leseland DDR

Dr. Gysi hat kürzlich in einem Beitrag im „Tagesspiegel“ darauf hingewiesen, dass die DDR niemals antisemitisch gewesen wäre.

Unter Ostalgikern gibt es immer einen Aufschrei, wenn diese Legende zerstört wird.

Wohlgemerkt, es geht nicht um Antizionismus oder Israel-Kritik. Dass die SED in Nahost Terroristen unterstützt und arabische Staaten mit Waffen versorgt hat, dass im DDR-Fernsehen Israel mit Hitler gleichgesetzt wurde, ist hier nicht gemeint.

Als Gysi 1990 den Jüdischen Weltbund um einen Milliardenkredit bat, um den Zusammenbruch der DDR zu verhindern, mit Verweis auf die revanchistisch-faschistoide BRD, gab es in amerikanischen Zeitungen und bei jüdischen Organisationen Verblüffung über so viel Chuzpe.

Man war sich der Geschichte der SED-Diktatur bewusst: Die antisemitischen Schauprozesse Ende der 40er, Anfang der 50er Jahre, der Exodus der Vertreter jüdischer Gemeinden, die Behandlung des Holocaust als Fußnote der Geschichte, die Verweigerung jeglicher Entschädigungszahlen, die Aberkennung oder Verweigerung des Status als OdF, Opfer des Faschismus, wenn es um Juden ging.

Einer von Gysis Vorgängern als SED-Vorsitzende, Walter Ulbricht, war da weniger zimperlich. Er soll gesagt haben : „Wenn Hitler die Juden nicht schon enteignet hätte, hätten wir das gemacht.“ Die jüdischen Genossen hat er nach und nach beseitigen lassen. Mielke war in seiner Ausdrucksweise nicht besser als Julius Streicher.

(Zur Klarstellung: In keinster Weise ist von mir beabsichtigt, Ulbricht  Hitler gleichzustellen. Oder Gysi Ulbricht oder Mielke.

Andererseits: Ulbrichts Wirtschaftspolitik wird in einem Jugendbuch des Fischer Verlages gelobt – Plenzdorf/Damann, ein Land genannt die DDR –  …)

Lesenswert:

Stefan Meining, Kommunistische Judenpolitik. Die DDR, die Juden und Israel, Hamburg: 2002, dokumentiert anhand von Protokollen und anderen Dokumenten  den Antisemitismus der deutschen Kommunisten von 1930 bis 1990.

In Westdeutschland wird bis heute gerne vom Leseland DDR geschwärmt, wo sogar noch Grillparzer gelesen worden wäre. (Warum wohl?)

Zensurspiele. Heimliche Literaturgeschichte aus der DDR von Simone Beck und Siegfried Lokatis, Halle: 2008, dokumentiert in zahlreichen Beispielen die verquaste Zensur der SED. Aberwitzige Geschichten. Sehr lesenswert.

Das ist eines der Bücher, die schon alleine ausreichen, um klar zu machen, wie es ausgeht, wenn eine heilsversprechende Utopie mit gnadenloser Härte durchgesetzt wird.

Warum muss ich mir in Potsdam solche Bücher immer per Fernleihe besorgen, diesmal sogar aus Westdeutschland? (In akademischen Bibliotheken sind sie gelegentlich da, aber meist nur im Präsenzbestand.)

Zur Medienkiste „Ampelmännchen und Todesschüsse“ hier.

Update 09.12.08

Die „Runde Ecke„, Dokumentationszentrum in der ehemaligen Leipziger Stasi-Zentrale, hat eine Datenbank online gestellt, in der 1500 Objekte fotografiert und erläutert wurden. Man muss mal stöbern: „Postkontrolle“ , „Schminken“, „Geruchsprobe“.

Hervorragend geeignet für Unterrichtsrecherchen!

Update 17.12.08:

In der Medienkiste „Ampelmännchen und Todesschüsse“  ist das Buch „Die DDR“ von Hermann Vinke. Ich entdecke dazu gerade die Rezension in der Zeit (Luchs-Kinderbuchjury):  Luchs 267, Zeit Nr. 29, vom 10.07.08

Hermann Vinkes Buch über die DDR wird von der Kinderbuchjury der Zeit und Radio Bremen zu Recht empfohlen. Allerdings muss man es gegen den Rezensenten Volker Ulrich verteidigen.

Ulrich sieht in der Aufarbeitung der SED-Diktatur einen eifernden Ton der Abrechnung, eine zunehmende Gleichsetzung der DDR mit dem „Dritten Reich“ und liest in das  sachliche Buch seine DDR-Sicht hinein. Bisher hatte ich eher wahrgenommen, dass die DDR zunehmend verklärt wird, man wäre nett zueinander gewesen, die Luft wäre gesünder und die Mieten billiger gewesen.

Die political correctness verbietet es, auf Parallelen zwischen den beiden Diktaturen hinzuweisen. Dass Potsdam etwa 1953 erneut „judenrein“ war, behält man besser für sich. Die DDR war ja angeblich nie antisemitisch, höchstens antizionistisch.

Ulrich zitiert aus dem Buch „die höchste Frauenerwerbsquote der Welt“ als SED-Errungenschaft. Bei Vinke steht vorher der Satz, wem das geschuldet war, nämlich dem Arbeitskräftemangel (p. 65). Die DDR-Paschas, vorneweg die alten Männer des Politbüros,  feierten die Doppelbelastung ihrer Frauen auch noch mit dem Weltfrauentag.

Ulrich lobt das angeblich vorbildliche DDR-Schulsystem. Vinke ist da vorsichtiger. Das rigide DDR-Schulsystem wird gerade von Journalisten zunehmend verklärt. Als ob es nie eine Odenwaldschule, integrierte Gesamtschulen oder die Laborschule gegeben hätte.

Während der friedlichen Revolution war man sich noch einig, dass die DDR-Schule die Menschen deformiert habe, wie Christa Wolf es formulierte.

Und was die Leistungen angeht, so konnten sich die westdeutschen Lehrer während der Ausreisewelle davon überzeugen, dass die im rezeptiven Unterrichtssystem der Diktatur hervorragend benoteten Übersiedlerkinder ganz schnell in der Mitte der Notenskala ankamen. Die DDR-Lehrer mussten Rechenschaft ablegen, wenn sie schlechte Noten gaben.

Es macht auch sicher einen Unterschied, ob eine Diktatur ihren gesamten Repressionsapparat gegen Jeans- und Rock´n-Roll-Liebhaber einsetzt oder eine westliche Vätergeneration darauf aggressiv reagiert. Ulrich setzt das gleich, Vinke nicht.

Vinkes Buch ist ein sehr brauchbares Nachschlagewerk für Jugendliche. Es hat diese Besprechung in der „Zeit“ nicht verdient.

3 Gedanken zu „Medienkiste DDR (4): Antisemitismus, Leseland DDR

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