Lesen fördert friedliches Zusammenleben

Endlich habe ich Steven Pinkers phänomenales Werk „Gewalt – Eine neue Geschichte der Menschheit“ beendet. Auf über 1.000 Seiten dokumentiert er, dass es in der Menschheitsgeschichte einen stetigen Rückgang von Mord, Gewalt und Krieg gibt. Noch nie sei die Welt so friedlich gewesen wie heute.

Das läge daran, dass die Vergangenheit allzu gerne verklärt werde. Frühere Generationen hätten unter einem unvorstellbaren Ausmaß an Gewalt gelitten. Wer sich durch die Seiten durchkämpft – wohl ein eher unpassender Ausdruck angesichts des Themas – erfährt von Kriegen und Massakern, die in unseren Geschichtsbüchern unerwähnt bleiben. Es gibt eine, ebenfalls weitgehend unbekannte Kriegsforschung, die versucht, möglichst alle Kriege und Bürgerkriege und ihre Toten zu erfassen und diese in Bezug zur Bevölkerungszahl zu setzen. Dabei zeigt sich, dass die Menschenverluste etwa im Amerikanischen Bürgerkrieg oder im 30jährigen Krieg größer waren als im Zweiten Weltkrieg.

Pinker benutzt allerdings nicht nur statistische Verfahren. Er zeigt, dass die Entstehung der modernen Staaten in der Neuzeit mit ihrem Gewaltmonopol und dem Aufbau einer Justiz innerstaatlich gewaltmindernd wirkt,  ebenso die Durchsetzung von Menschen- und Bürgerrechten, die Abschaffung der Sklaverei, das Ende von Hexenverbrennungen und der Inquisition. Zwischenstaatlich seien konfliktverhindernde Regeln entstanden. Auch der Austausch durch Handel habe sich gewaltmindernd ausgewirkt. Ein Win-Win-Situation würde Frieden erhalten, anders als die Ausbeutung eines Landes durch ein anderes.

Ich will den Inhalt hier nicht zur Gänze referieren. Ich weiß aus Gesprächen, dass ich lebhaften Widerspruch ernte, wenn ich Pinkers Erkenntnisse vertrete. Die Zeitungen wären doch voll von Krieg und Mord und Totschlag, der Zweite Weltkrieg wäre der schlimmste aller Kriege gewesen usw. „Früher war es noch schlimmer“, würde Steven Pinker antworten, der Rückgang sei messbar.

Warum ich das Buch überhaupt in diesem Blog erwähne? Pinker beschreibt auch die Fähigkeit zu lesen, den Buchdruck, die Ausbreitung der Leihbüchereien und die Lektüre von Romanen und Erzählungen als Faktoren der Humanisierung der Gesellschaft. Der geistige Horizont habe sich erweitert, man habe von anderen Völkern und Ländern erfahren. In den Romanen ging es um normale Menschen, nicht um Helden oder Kaiser und Könige. Ein Buch wie „Onkel Toms Hütte“ habe vielen weißen Amerikanern die Augen geöffnet, ähnlich wirkte „Oliver Twist“.

Leseförderer wissen schon aus der Lese- und Leserforschung: Lesen fördert Empathie. Man versetzt sich in andere Menschen, man übernimmt ihre Perspektive, man zeigt Mitgefühl.

All dies habe den Siegeszug des Humanismus gestärkt.

Ebenfalls von Steven Pinker und genauso beeindruckend: „Wie das Denken im Kopf entsteht“.
(Ich lese solche solide recherchierten Werke lieber als die hoch gelobten spekulativen, stellenweise schlicht falschen Thesen von Piketty, Zizek oder Joseph Vogl über Zustände in unserer Gesellschaft.)

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