Wissenschaftliches Publizieren und das Internet

Der Historiker Valentin Groebner von der Universität Luzern bekommt für seinen Text in der FAZ am 6.2. (Ich lese auch anderes, aber sie ist halt sehr ergiebig) eine ganze Seite. Das ist gut so, denn auch in dieser Zeitung wird das Internet eher von „Netzaktivisten“, Piratenpolitikerinnen und Chaos Computer Club-Mitgliedern erklärt.

Prof. Groebner erklärt, warum das Netz kein guter Informationsspeicher ist und dass es dem wissenschaftlichen Publizieren nicht bekommt. Er ordnet wissenschaftliches Publizieren historisch ein und kann dann im Vergleich viele Schwärmereien der Netzapologeten erledigen, nebenbei auch die seit 20 Jahren verbreitete Auffassung, das Netz und die digitale Vernetzung der Menschen trage zu mehr Demokratie bei.

Der Text enthält einige unangenehme Aussagen über den Wissenschaftsbetrieb im digitalen Zeitalter. So nehme die Menge an Texten und Textanbietern durch die Möglichkeiten des EDV enorm zu. Die Wissenschaften produzierten mehr als irgendjemand aufnehmen könne. Was fehle, seien Lesezeit und Leser.

Das digitale Reputationsmanagement von Wissenschaftlern, in den Blogs und Homepages, sei beeindruckend, wer das alles lese, sei aber unklar. Die Produzenten solcher Webseiten hätten kaum Zeit zum Lesen, sie/er muss ständig aktualisieren, neu posten, auf sich aufmerksam machen. Wer nicht ständig sende, gehe im Internet unter. Deswegen seien auch neue Theorien und Erkenntnisse so gefragt. Man müsse deutlich machen, dass man schon weiter sei als der Rest der Community. Das Netz sei ein Medium des schnellen Vergessens. Nachhaltige Wissenschaft müsse netzunabhängig sein.

Prof. Groebner hat nicht nur Fans. Blogaktivisten der Bibliotheks- und Informationswissenschaften halten kräftig dagegen. Es gäbe auch im Netz Qualitätsangebote. Oder man könne sie schaffen. Schließlich aber sei die digitale Wissenschaftskommunikation der Wissenschaft angemessen: unfertig und fließend. Großzügig schließt ein Blogger, dass die „Buch-Fetischisten“ auch weiterhin  Bücher nutzen dürfen. Zeitgemäße Wissenschaftskommunikation lasse nach wie vor Printprodukte und andere netzunabhängige Medien zu, wenn diese zu Situation, Lesehaltung und dem Bedürfnis nach Langzeitsicherung passten.

8 Gedanken zu „Wissenschaftliches Publizieren und das Internet

  1. Pingback: Dürfen Wissenschaftler bloggen oder sowas? | ZAFUL

  2. Lambert Heller

    Hui, das ist aber Jammern auf hohem Niveau.
    Sie brauchen sich über zu wenige Kommentare (einer der Kritikpunkte in den von Schulmeister gebündelten Studien) nicht zu beklagen.
    Über zu wenig Sachbezug eigentlich auch nicht (zumindest waren schon einige Argumente gefallen.)
    Es handelt sich auch nicht um redundante Kommentare, die nur auf eine Metaebene abzielen. Die Metaebene (in diesem Fall: innerhalb einer Diskussion in Blog-Kommentaren andeutungsweise zu behaupten, dass Kommentare in Blogs ohnehin nichts bringen) haben nun vielmehr Sie selbst nun eröffnet. Als derjenige, der als Blogautor und Anbieter eines Kommentarforums zum Kommentieren seines Beitrags eingeladen hat, notabene.

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    1. Basedow1764 Autor

      Der Schulmeister-Text war von mir nur als Replik auf das „unbedarft“ des Dr. Graf gedacht, keinesfalls als inhaltsbezogener Beitrag. (Die Kommentarkultur hat hat m. E. wenig mit der Qualität wissenschaftlichen Publizierens im Internet zu tun.) Ich erinnerte mich an eine Bemerkung zur generell rüden Kommentarkultur im Internet darin. Alternativ hätte ich Dr. F.J. Strauß zitieren können, der einmal einen unbequemen Fragesteller fragte, ob er denn überhaupt Abitur habe.

  3. Lambert Heller

    Liest sich für mich wie ein Kommentar aus einer anderen Welt. In den Naturwissenschaften z.B. ist der Wechsel auf die Netzmedien bereits weitestgehendst vollzogen – es wird digital publiziert, gesucht, gefunden, gelesen und gearbeitet, siehe etwa arXiv.
    Langzeitarchivierung? Ein massives Problem *auf Papier gedruckter* Medien. Digitale Medien können im Netzzeitalter redundant verfügbar gehalten werden, siehe etwa LOCKSS. Mit Büchern geht das nicht.
    ‚Der Blogger‘ hat übrigens unter seinem Klarnamen veröffentlicht, es handelt sich um Ben Kaden vom IBI der HU Berlin. Und ich stimme ‚dem Blogger‘ inhaltlich zu: Wer Bücher mag sollte diese halt benutzen, wenn es passt. Da einen besonderen Zynismus gegenüber dem Medium Buch herauszulesen (und darum geht es Ihnen anscheinend, wenn ich das richtig verstanden habe), setzt schon voraus, diesem Medium eine Sonderstellung, einen „Vorrang“ gegenüber anderen Formaten einzuräumen. Wo dieser Vorrang herkommen soll, und was daran bibliothekarisch sein soll, überhaupt einem bestimmten *Format* einen solchen Vorrang einzuräumen – das habe ich allerdings nicht verstanden. Übrigens auch nach Lektüre Ihres Beitrags nicht.

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  4. ladislaus

    „Die Wissenschaften produzierten mehr als irgendjemand aufnehmen könne. Was fehle, seien Lesezeit und Leser.“ Das war schon immer so. Die Flut der Zeitschriften im 18. Jahrhundert, die Flut der Schulprogramme im 19. Jahrhundert, die Flut der Doktor- und Habil.arbeiten im 20. Jahrhundert: all das wurde und wird genau so viel oder wenig gelesen wie die Blogs heute. Wo ist das Problem?

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    1. Basedow1764 Autor

      Sehr geehrter Herr Dr. ladislaus,
      welche Zeitschriften des 18. Jh. sind gemeint? Die meisten waren Vorläufer der „Gartenlaube“. Dass es, anders als vorher, mehr wissenschaftliche Journale und Veröffentlichungen gab, ist der neuen Epoche der Aufklärung geschuldet. Ausgerechnet die Schulprogramme des 19. Jahrhunderts (nicht zu Verwechseln mit heutigen Schulprogrammen!) als Argument in einer Debatte zur Qualität wiss. Publizierens zu nutzen, halte ich für mutig. Das waren Jahresberichte der Gymnasien; in denen haben die Gymnasiallehrer auch ihre wissenschaftlichen Forschungen veröffentlicht, zum höheren Ruhme ihrer Schule. (Eine Nachwirkung ist noch heute, dass manche Gymnasiallehrer sich als Fachwissenschaftler verstehen und nicht als Pädagogen. Für die Universitätskarriere hat´s dann doch nicht gelangt.)

      Mit dem Hinweis auf die gestiegene Zahl von Doktorarbeiten im 20. Jh. kommen wir dem Thema näher: Wenn statt 5% eines Jahrgangs, wie noch vor einer Generation, mittlerweile 50% die Hochschulreife erwerben und die Universitäten von Studenten, um Ihr Sprachbild zu übernehmen, „überflutet“ werden, ist eine zwangsläufige Folge auch die ebenso exponentiell steigende Zahl an Forschungsarbeiten. Mehr Studenten wollen einen Doktortitel für´s berufliche und politische Fortkommen oder die E-Mail-Adresse, mehr Studenten brauchen mehr Professoren, mehr Professoren müssen forschen und publizieren, um auf Planstellen zu gelangen. Studenten klagen, dass sie kaum noch ein Thema finden für ihre Diss., weil alles schon abgegrast sei.

      „Publish or perish“ mag vielleicht schon in der Antike gegolten haben. Aber ganz sicher nicht im heutigen Ausmaß. Die Nachfrage nach wissenschatlichem „Content“ ist im Vergleich zum 18. Jahrhundert doch wohl größer geworden. Nachfrage und Angebot hängen bekanntermaßen zusammen.
      In der Frage der Qualität wissenschaftlichen Publizierens sind wir damit noch nicht weitergekommen.

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