Ein hochaktueller Text aus dem Jahr 1993:
Ein Blick über die Grenze. „Dreams and Dynamics“ – Schulbibliothekare international
Vom 26. bis 30. September 1993 fand in Adelaide (Australien) die 22. Konferenz der IASL, des Internationalen Schulbibliotheksverbandes, statt. Unter dem Titel „Dreams and Dynamics“ wurde die diesjährige Konferenz als gemeinsame Jahrestagung mit dem australischen Schulbibliotheksverband durchgeführt. Mehr als 400 Delegierte aus 23 Ländern waren als Teilnehmer registriert, denen ein dichtes, oft allzu komprimiertes Programm geboten wurde. Von einem Teilnehmer, den sowohl die internationale Entwicklung wie Informationen über das australische Schulbibliothekswesen interessierten, forderte das Programm mit vielen parallel stattfindenden Veranstaltungen immer wieder sich pro und zugleich contra zu entscheiden.
„Dreams and Dynamics“: Wie kann aus Vorstellungen von einer schülergerechten, offenen Schule aktives Handeln zur Realisierung einer modernen Schule werden, zu der selbstverständlich auch eine angemessen ausgestattete Schulbibliothek gehört? Welche gemeinsamen Ideen und Erfahrungen sind vorhanden? Welche Handlungsstrategien müssen entwickelt werden, um aus Wunschvorstellungen Realität werden zu lassen?
In Australien ist es offensichtlich weitgehend gelungen, theoretische Überlegungen zur Schulbibliothek in der schulischen Praxis auch zu realisieren und funktionsgerecht ausgestattete Schulbibliotheken zur selbstverständlichen Einrichtung an jeder Schule ‑ mit Ausnahme einiger Zwergschulen im Outback ‑ zu machen. Nicht jede als kombinierte Öffentliche und Schulbibliothek oder als schulinterne Bibliothek geführte Einrichtung könnte wohl auch nach unseren Kriterien Schulbibliothek genannt werden. Es gibt aber immer einen regelmäßigen Etat für die Bibliothek, es gibt einen nennenswerten Buchbestand und es gibt Personal, in aller Regel Lehrer, die bibliothekarische Kenntnisse in einem Fortbildungsprogramm erworben haben. Die Ausstattung der Schulbibliotheken in Australien und ihre Integration in den schulischen Unterricht und in das Schulleben ist sicherlich vergleichbar mit den Gegebenheiten in Dänemark, das für uns in der Bundesrepublik immer noch als Schulbibliotheksparadies gilt.
Schulbibliotheken stehen in Australien nicht nur auf einem hohen Niveau, auch ihr Stellenwert bei Lehrern, Bibliothekaren und Eltern ist offensichtlich sehr hoch. Auf der Tagung referierte beispielsweise der Direktor der australischen Nationalbibliothek. Wäre Vergleichbares bei uns denkbar? Australien schickt Schulbibliothekare für mehrjährige Projekte in Länder im Pazifik, die dort beim Aufbau von Schulbibliotheken Hilfestellung geben sollen, jeder bei uns weiß, dass an vergleichbare Projekte der Bundesrepublik, etwa für osteuropäische Länder, nicht zu denken ist.
In der internationalen Diskussion ‑ das machte diese Tagung erneut deutlich ‑ gelten einige Fragen, die in der Bundesrepublik nach wie vor kontrovers diskutiert werden, längst als geklärt. Insbesondere fällt immer wieder auf, dass international die pädagogischen Aspekte schulbibliothekarischer Arbeit stark betont werden. Die Schulbibliothek ist keine Ausleih‑Bibliothek mit traditionellen bibliothekarischen Funktionen. Sie besteht viel mehr aus einer Zahl von pädagogischen Funktionen, so ist sie ein „social‑center“ für Schüler und Lehrer, aber auch für Eltern und Vorschulkinder. Dementsprechend stehen nicht Katalogisierungsfragen und andere bibliothekstechnische Fragen im Vordergrund der Diskussion, sondern praktische Probleme der Zusammenarbeit von Lehrer und Schulbibliothekar mit der Frage „Wie wird der Schulbibliothekar den Bedürfnissen der Lehrer gerecht?“ oder „Wie kann eine gemeinsame Unterrichtsplanung, von Lehrer und Schulbibliothekar, reibungslos und erfolgreich sein?“
Aus diesem Verständnis von Schulbibliothek als einer pädagogischen Einrichtung ergibt sich ‑ auch hier besteht international große Einigkeit ‑, dass der Schulbibliothekar in erster Linie Lehrer sein muss, der zwar bibliothekarische Kenntnisse, aber keine entsprechende Vollausbildung benötigt. Wie jeder weiß, wird demgegenüber bei uns die bibliothekarische Komponente der Schulbibliotheksarbeit stark betont. Ein Weg, der nicht sehr erfolgreich war. wie man nach nahezu 25 Jahren Schulbibliotheks‑“entwicklung“ in der Bundesrepublik wohl konstatieren muss. Wann probieren wir, andere Wege zu gehen?
Reinhold Heckmann
aus: Arbeitshilfen – Schriftenreihe für die Zentralen Schulbibliotheken in Rheinland-Pfalz, Heft 24, Mai 1994 (Zuerst 1993 in der heute nicht mehr existierenden „schulbibliothek aktuell“ veröffentlicht.) Kurt Cron war so freundlich, den Text zu scannen, da meine Papierkopie nach 15 Jahren etwas verblichen aussieht.)
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