Wie erklärt man die unterschiedlichen Abschlussquoten von Hauptschulabgängern?

In Wismar schafft jeder vierte Schüler den Hauptschulabschluss nicht, in Forchheim nur jeder vierzigste, in Düsseldorf scheitern 9.5 %, in Leverkusen 3,5% der Abgänger, schreibt der Generalsekretär des Deutschen Caritasverbandes, Prof. Dr. Georg Cremer. Er hat  untersuchen lassen, warum es solche erstaunlichen Unterschiede gibt:

Keinen nachweisbaren Einfluss auf den Schulabgang ohne Hauptschulabschluss haben Stadt/Land-Unterschiede und die Pro-Kopf-Verschuldung der Kommunen. Ebenso ohne Einfluss ist die Anzahl der Hauptschüler an allen Schülern. Dies
ist bemerkenswert. Ob also in einem Kreis viele oder wenige Schüler die Hauptschule besuchen, wirkt sich nicht darauf aus, ob es hier auch viele oder weniger Schüler ohne Hauptschulabschluss gibt.
Am stärksten wirkt sich der Anteil der Förderschüler aus. Steigt dieser um einen Prozentpunkt, liegt die erwartete Quote an Schulabgängern ohne Hauptschulabschluss um 0,6 Prozentpunkte höher. Das ist eine sehr starke Auswirkung, die auch widerspiegelt, dass wenige Förderschüler überhaupt einen Hauptschulabschluss erreichen.
Wenn es in Deutschland keine sozioökonomischen Unterschiede gäbe, d.h. überall dieselbe Arbeitslosigkeit wäre, derselbe Anteil an Förderschülern und so weiter, dann wäre es … so, dass in Mecklenburg-Vorpommern 5,5 Prozentpunkte mehr an Schülerinnen und Schülern die Schule ohne Hauptschulabschluss verlassen würden als in einer Gruppe von Bundesländern mit mittlerem Erfolg gebildet aus Bremen, Hessen, Rheinland-Pfalz, Thüringen, Schleswig-Holstein, Berlin und dem Saarland. In Brandenburg wären es 4 Prozentpunkte mehr, in Sachsen-Anhalt 2,2 und in Sachsen 1,9. Besser als die Mittelgruppe würden abschneiden: Nordrhein-Westfalen mit 2,8 Prozentpunkten weniger Schülerinnen und Schüler[n] ohne Hauptschulabschluss, Baden-Württemberg mit 2,4 Prozentpunkten weniger, Bayern mit 2 Prozentpunkten weniger und Niedersachsen mit 1,7 Prozentpunkten weniger.
Den zweitgrößten Einfluss hat die Arbeitslosenquote: Steigt sie um einen Prozentpunkt, liegt die erwartete Quote an Schulabgängern ohne Hauptschulabschluss um 0,23 Prozentpunkte höher. Dies zeigt die enormen sozialen Auswirkungen, die Arbeitslosigkeit – über die direkte Betroffenheit des Einzelnen hinaus– hat. Erfolge in der Arbeitsmarktpolitik sind, so ist zu folgern, auch bildungspolitisch von Vorteil.
Ebenfalls einen nachweisbaren, aber weit geringeren Einfluss auf die Quote der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss haben der Anteil der Beschäftigten ohne abgeschlossene Berufsausbildung und der Anteil der ausländischen Schüler. Auch der wirtschaftliche Wohlstand in der Region – angenähert über das    Bruttoinlandsprodukt pro Kopf – hat einen nachweisbaren Effekt, der aber ebenfalls gegenüber den Faktoren Anteil der Förderschüler und Arbeitslosenquote eher gering ist.
Neben den sozioökonomischen Faktoren hat auch die Bundeslandzugehörigkeit eines Kreises oder einer kreisfreien Stadt einen hohen Einfluss. wenn es in Deutschland keine sozioökonomischen Unterschiede gäbe, d.h. überall dieselbe Arbeitslosigkeit wäre, derselbe Anteil an Förderschülern und so weiter, dann wäre es immer noch so, dass in Mecklenburg-Vorpommern 5,5 Prozentpunkte mehr an Schülerinnen und Schülern die Schule ohne Hauptschulabschluss verlassen würden als in einer Gruppe von Bundesländern mit mittlerem Erfolg gebildet aus Bremen, Hessen, Rheinland-Pfalz, Thüringen, Schleswig-Holstein, Berlin und dem Saarland. In Brandenburg wären es 4 Prozentpunkte mehr, in Sachsen-Anhalt 2,2 und in Sachsen 1,9. Besser als diese Mittelgruppe würden abschneiden: Nordrhein-Westfalen mit 2,8 Prozentpunkten weniger Schülerinnen und Schüler ohne Hauptschulabschluss, Baden-Württemberg mit 2,4 Prozentpunkten weniger, Bayern mit 2 Prozentpunkten weniger und Niedersachsen mit 1,7 Prozentpunkten weniger.

Wir sehen hier große Bundeslandunterschiede, die ihre Ursache aller Wahrscheinlichkeit nach in den unterschiedlichen Schulsystemen haben. (Kommentar GS: Zumindest sind es Bundesländer, die eine höhere Förderschülerquote als die anderen haben. Daher ist das identisch mit dem ersten genannten Einflussfaktor „Quote der Förderschüler“ und eher weniger auf generelle Unterschiede im Schulwesen zurückzuführen.)

Prof. Cremer macht aber darauf aufmerksam, dass es dennoch Städte und Landkreise gebe, die trotz der genannten negativen Einflussfaktoren niedrige Quoten von Abgängern ohne Hauptschulabschluss vorweisen könnten („Ausreißer“ wie Forchheim oder Leverkusen). Da solle man einmal genauer hinsehen, wie die das machten.

Nachtrag: Von Prof. Cremer ist in der FAZ v. 19.11.12, p 7, eine Kritik der öffentlichen Debatte über den Sozialstaat erschienen: „Entpört Euch!“. Er erklärt, dass die aufgeregten Extrempositionen „Sozialabbau“, „Neoliberalismus“, „Suppenküchensozialstaat“, „Amerikanisierung“ (Prof. Butterwegge) und „Verzicht auf Eigenverantwortung“, „Sicherheit statt Freiheit“, „Semi-Sozialismus“ (Sloterdijk, Bolz u. a.), befördert von gerne zuspitzenden Journalisten und Talkshowmoderator/-innen, dem deutschen Sozialstaat nicht gerecht würden. Er berichtet von einem Fall, wo eine Talkshow-Moderatorin einen Gast wieder auslud (ihn selbst?), weil der nicht sagen wollte, dass nach Abschaffung des Zivildienstes Altersheime und Krankenhäuser zusammenbrechen würden.

Ein Gedanke zu „Wie erklärt man die unterschiedlichen Abschlussquoten von Hauptschulabgängern?

  1. Carson Maldonado

    In vielen Ländern ist der Anteil von jungen Leuten ohne weiterführenden Schulabschluss hoch. In Spanien liegt er bei 35 Prozent der 20- bis 25-Jährigen. In Italien sind es 20 Prozent, in Frankreich und sogar Dänemark um die 15 Prozent. Wer mit 15 oder 16 Jahren die Schule ohne Abschluss verlässt, wird nur schwer Arbeit finden. Hinzu kommt, dass viele Länder – im Gegensatz zu Deutschland – kein gutes Berufsausbildungssystem haben. Eine berufliche Ausbildung gilt dort als etwas für die Übriggebliebenen, die es anderswo nicht schaffen.

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